Ein 90-jähriger Rentner ist tot, eine 73-jährige Rentnerin leidet auf der Anklagebank und sogar die Richterin zeigt Mitleid: nach einem tödlichen Unfall in Bietigheim-Bissingen hat das Besigheimer Amtsgericht jetzt ein Urteil gesprochen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Das Besigheimer Amtsgericht hat am Dienstag eine Rentnerin aus Bietigheim-Bissingen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, dabei aber auf eine harte Strafe verzichtet. Die 73-Jährige war im Juni 2013 mit ihrem Pkw beim Abbiegen mit einem Radfahrer kollidiert, der mit seinem Rad über einen Fußgängerweg fuhr. Der 90-Jährige Radler zog sich bei dem Zusammenstoß schwere Kopfverletzungen sowie Brüche des Beckens, der Rippen, der Schulter und des Steißbeins zu, er starb sieben Wochen später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen. Die Angeklagte muss wegen des tödlichen Unfalls nun für zwei Monate ihren Führerschein abgeben und 2400 Euro zahlen.

 

Der Staatsanwalt hatte ein dreimonatiges Fahrverbot und damit eine nur geringfügig höhere Strafe gefordert. Die Angeklagte hätte den nahenden Radler zwar „erkennen müssen“, erklärte er in seinem Plädoyer. Andererseits sei die Frau damals nicht zu schnell gefahren und habe daher nicht rücksichtlos gehandelt. Zumal der Radfahrer den Unfall mitverschuldet habe.

Die Richterin zeigt Mitleid mit der Angeklagten

Die 73-Jährige war von der Stuttgarter Straße nach rechts in den Gröninger Weg abgebogen und hatte dabei den dortigen Zebrastreifen überquert. Auf eben diesem Fußgängerüberweg fuhr der 90-Jährige mit seinem Rad, es kam zur Kollision, der Mann stürzte. „Ich will mich nicht rausreden“, sagte die 73-Jährige am Dienstag mit tränenerstickter Stimme. „Das ist so furchtbar.“ Sie habe nicht mehr rechtzeitig reagieren können. Der Radfahrer sei „angeschossen gekommen. Ich habe das nicht mit Absicht gemacht“.

Fakt ist: der Radfahrer hätte, so lautet die Vorschrift, vor dem Zebrastreifen vom Rad steigen müssen. Denn die dortige Ampel leuchtete zwar Grün, das Signal galt aber nur für Fußgänger. Dennoch wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn die Angeklagte beim Abbiegen die gelben Warnlichter beachtet hätte, sagte der Staatsanwalt. Auch die Richterin sprach von einem „Augenblicksversagen“, zeigte aber Mitgefühl für die sichtlich leidende Rentnerin. Diese sei in eine „alptraumhafte Situation geraten, und es ist wohl niemand davor gefeit, dass er wegen eines kurzen Moments der Unaufmerksamkeit in eine ähnliche Situation gerät“.

Die Rentnerin ist auf ein Auto angewiesen

Die Familie des Opfers hat der Frau offenbar verziehen – die Angeklagte berichtete vor Gericht, dass sie nach dem Vorfall den Kontakt zu den Angehörigen gesucht habe. Eine Beweisaufnahme war nicht nötig, weil die 73-Jährige die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nie abgestritten hat. Allerdings kämpfte sie bis zuletzt um ein möglichst kurzes Fahrverbot – mit der Begründung, sie sei auf das Auto angewiesen, weil sie die Patenschaft für ein Kind übernommen habe und dieses regelmäßig zur Nachhilfe fahren müsse. In einem Strafbefehl waren zunächst drei Monate Führerscheinentzug angeordnet worden, der Verteidiger bat am Dienstag um eine Reduzierung auf einen Monat. Die Richterin würdigte zwar das soziale Engagement der Angeklagten, entschied sich aber letztlich für ein zweimonatiges Fahrverbot.