Der Neonazi Florian S. bleibt auf freiem Fuß, das hat das Gericht in Freiburg entschieden. Der 29-Jährige hatte auf einem Parkplatz einen Antifaschisten angefahren und verletzt. Das Gericht interpretiert den Angriff als Notwehr in Panik.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Der Neonazi Florian S. bleibt auf freiem Fuß. Das Landgericht Freiburg hat den 29-jährigen Kopf der Neonazigruppe „Freie Kräfte Ortenau“ und erfolglosen NPD-Landtagskandidaten vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen. Florian S. hatte im Oktober vergangenen Jahres bei einem Pendlerparkplatz nahe Riegel am Kaiserstuhl einen 21 Jahre alten Antifaschisten umgefahren und dabei schwer verletzt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse, die Rechtsvertreter der Nebenkläger kündigten an, in Revision zu gehen.

 

Die Strafkammer des Landgerichts Freiburg unter Vorsitz von Eva Kleine-Cosack betonte vor ihrer von Unmut im Saal begleiteten Urteilsbegründung, dass es in Deutschland „kein Gesinnungsstrafrecht“ gebe. „Justitia ist nicht auf dem rechten Auge blind“, sagte die Richterin. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ gelte auch für Neonazis. Die Kammer sei sich über den politischen Hintergrund der Tat im Klaren. Sie sei zwar davon überzeugt, dass Florian S., der auf dem Pendlerparkplatz auswärtige Gäste für eine Neonaziparty weiterschleusen sollte, durchaus mit einer gefährlichen Situation rechnen konnte. Es sei auch möglich, dass er in dem Moment, als die Gruppe Vermummter auf ihn zurannte, mit voller Absicht in diese hineingefahren sei – und sich dabei der Gefährdung von Leib und Leben der Personen bewusst war. „Es kann sein, aber das reicht nicht, die Kammer ist nicht davon überzeugt“, sagte die Richterin.

Der Täter befand sich in einer Notwehrsituation

Unstrittig sei, dass es dem Angeklagten möglich und auch zuzumuten war, sich aus der Parkplatzausfahrt nach rechts zu entfernen. Auch Flucht sei ein Verteidigungsmittel in einer Notwehrsituation. Aber in nur einer Sekunde habe sich der Angegriffene entscheiden müssen. Eine Zeugin und die Staatsschutzbeamten, denen er sich anschließend offenbarte, hätten seine Panik in der bedrohlichen Situation belegt. Dass Florian S. wenige Tage zuvor in einer Facebook-Unterhaltung regelrecht eine Notwehrsituation herbeigesehnt hatte, um ungestraft einen Linken attackieren zu können, nahm das Gericht zur Kenntnis, wertete es aber als eine nicht ernst zu nehmende Angeberei unter Gleichgesinnten.

Die Verantwortung für den Notwehrexzess sieht das Gericht bei den Angreifern, die in eindeutig unfriedlicher Absicht erschienen seien, um, wie ein Zeuge sagte, „den Schleusungspunkt zuzumachen“. Das Gericht unterstellte, dass die Angreifer dem aus dem Parkplatz herausschießenden Mitsubishi-Colt noch hätten ausweichen können. Auch der beim Aufprall schwer Verletzte hätte dazu noch Zeit gehabt, stattdessen sei er wohl absichtlich auf das Auto gesprungen, um es zu stoppen. Damit hätte der Angeklagte aber nicht rechnen müssen. Alles in allem liege kein Tötungsvorsatz vor. Auch wenn Fragen blieben, müsse das Gericht im Zweifel den Angeklagten freisprechen.

In der Freiburger Innenstadt demonstrierten Antifas

Der Staatsanwalt will das Urteil prüfen und dann entscheiden, ob er Rechtsmittel einlegt; er hatte drei Jahre Haft gefordert. „Das Gericht hat eine andere Gewichtung der Argumente vorgenommen, ich muss sehen, ob sie plausibel ist“, sagte Florian Rink. Der Anwalt des geschädigten Nebenklägers kündigte Revision an. „Die Begründung des Urteils ist abenteuerlich“, sagte Rechtsanwalt Jens Janssen. „Das ist ein Freibrief für Neonazis, Antifaschisten anzugreifen“, sagte die Nebenklägeranwältin Angela Furmaniak. In der Freiburger Innenstadt demonstrierten unmittelbar nach der Urteilsverkündung Antifaschisten und verurteilten den Freispruch.