Baden-Württembergs First Lady punktet. Gerlinde Kretschmann kommt einfach gut an - und ist die Seele der Politdelegation des Landes Brasilien.

Rio de Janeiro - Die Frau punktet. Ob sie es weiß? Ob es ihr wichtig ist? Das spielt keine Rolle. Es ist halt so. Gerlinde Kretschmann kommt einfach gut an. "Die hat das Zeug zur Landesmutter", raunt einer der Mittelständler, die schon viel gesehen haben und den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gerade auf seiner Reise nach Südamerika begleiten. Der Mann ist kein Freund des grünen Regierungschefs. Aber vor der Frau hat er Respekt.

 

Jetzt sitzt sie in einem kleinen Saal, umringt von vielleicht zwanzig Kindern. Sie alle spielen Geige, streichen das Cello oder zupfen den Bass. Keiner in dem Orchester ist älter als siebzehn. Julio ist mit sieben der Jüngste. Die Kinder könnten noch mitbekommen haben, wie das vor gut zwei Jahren war. Sergio Cabral, der Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, startete sein Befriedungsprogramm. Die von Drogenbossen beherrschten Armensiedlungen Rios sollen nach und nach befreit, den dort lebenden Menschen eine andere Perspektive als Dreck und Drogen gegeben werden.

Die Kinder reagieren diszipliniert

Dona Marta im Stadtteil Botafogo war die erste Siedlung, welche die Staatsmacht zurückeroberte. Das hügelig steile Fleckchen Erde ist so groß wie acht Fußballfelder und hat es zu vielfacher Berühmtheit gebracht. Michael Jackson drehte dort 1996 seinen Videoclip "They don't care about us". Damit das reibungslos funktionieren konnte, sollen einige Millionen Real an "den Mexikaner" geflossen sein - wie der Drogenboss nur genannt wurde. Wie viele Menschen in Dona Marta leben, weiß niemand. Die einen sagen 5000, andere sprechen von 12.000. Zwei Monate dauerte der Krieg zwischen der Spezialeinheit der Bundespolizei und dem Comando Vermelho. Die Spezialeinheiten rückten ab, an ihrer Stelle kamen andere, die Friedenspolizei der Unidade Policia de Pacificadora.

Diese hat ihren Sitz ganz oben auf dem Hügel, noch oberhalb des Fußballplatzes. Mit ihr kamen Sozialprogramme, zum Beispiel kostenfreies Breitbandinternet. Ein anderes Programm bestaunt Gerlinde Kretschmann: 130 Kinder erhalten in dem Haus, in dem auch die Friedenspolizisten residieren, Musikunterricht. Acht junge Musiklehrer kümmern sich um sie. Brenda dirigiert das Orchester. Sie ist streng. Ihre Handzeichen lassen keine Zweifel zu. Die Kinder reagieren diszipliniert.

Viele haben eine Missbrauchskarriere hinter sich

Das ist alles andere als selbstverständlich. Viele von ihnen haben eine Missbrauchskarriere hinter sich, sind von ihren Eltern weggelaufen oder von ihnen einfach zurückgelassen worden. Gewalt war in ihrem Leben bisher etwas ganz Normales. Jemanden mit dem Tode zu bedrohen, war nichts Besonderes, erzählt Elza Worbs, die Gattin des deutschen Generalkonsuls in Rio, eine Brasilianerin aus ParanÖ.

Jetzt sitzen sie zusammengedrängt beieinander und spielen Geige, Cello oder Bass - Beethoven, Dvorak und natürlich einheimische Rhythmen. Mit den Besuchern können sie nichts anfangen. Da wird viel offiziell geredet. Es wird viel fotografiert. Aber wenn die Kinder musizieren, tun sie es konzentriert und mit ganzer Hingabe. Sie machen das gut. "Die Musik gibt ihnen Freiheit", sagt Elza Worbs. Das hört man. Und man spürt es. Die Szene berührt.

Gerlinde Kretschmann setzt die Standards

Solche Elemente wollte Gerlinde Kretschmann in dem Besuch haben. Vieles weiß man, sagt sie. Aber erst wenn man etwas mit eigenen Augen sieht, versteht man es richtig. "Ich möchte mich bedanken, dass wir zuhören durften", sagt sie und vergisst im Gewusel nicht, um Übersetzung zu bitten, "damit die Kinder das verstehen". Dann überreicht sie den Organisatoren, die auf private Sponsoren angewiesen sind, einen Scheck über 500 Euro.

Auf Menschen zugehen kann sie außergewöhnlich gut. Im Unterschied dazu denkt man mitunter, ihr Gatte praktiziere eine Politik des Zuhörens auch in seinen Gesprächsrunden. Das lässt ihn dann distanziert erscheinen. Es mag ein Missverständnis sein. Kretschmann ist nicht der Typ, der wie ein klassischer Politiker das große Publikum sucht und alles, was er weiß, im Zweifel auch mal mehr, sofort zu Tage befördert. Dieses Publikum - bisher bei jeder Gelegenheit mit Wörtern überflutet - muss sich an diese neue Verbaldiät gewöhnen und fremdelt noch mit dem neuen Spitzenmann. Das löst sich erst in kleinen Runden. Das ist Kretschmanns Kommunikationsformat.

Aber auch da setzt Frau Gerlinde die Standards. "Der MP ist angespannt und konzentriert sich auf seinen nächsten Gesprächspartner", sagt ein anderer der weltläufigen Mittelständler zu ihr. "Dann sorgt seine Frau für die Harmonie in der Delegation - das haben Sie ganz hervorragend hinbekommen." Die Exkursion nach Südamerika war ein Lernprozess für den Ministerpräsidenten und für die Unternehmer - mit Gerlinde Kretschmann als Dolmetscherin zwischen den beiden Seiten.