Winfried Hermann wirft der Stadt Ditzingen bei einem Vortrag eine „überholte Ansiedlungspolitik“ vor. Sie habe um Thales geworben, ohne die Verkehrsproblematik zu bedenken.

Gerlingen - Keine aufgeheizte Stimmung, keine Transparente, keine Demonstration gegen Winfried Hermann. All dies war im Vorfeld des Besuchs des Landesverkehrsministers in Gerlingen befürchtet worden. Er war auf Einladung der Volkshochschule nach Gerlingen gekommen, um über nachhaltige Mobilität zu sprechen. Doch statt Kritik und Ablehnung gab es Beifall für die Ausführungen des Grünen-Politikers: Hermann übte nämlich deutliche Kritik an Ditzingen.

 

Auf den geplanten zweiten Autobahnanschluss angesprochen, warf er der Kreisstadt unter dem Beifall der rund 50 Zuhörer eine „überholte Ansiedlungspolitik“ vor. Ein Vorwurf, den er bei Besuchen in Ditzingen bisher offenbar nicht geäußert hat. Die Stadt habe Thales angesiedelt und die Erweiterung von Trumpf ermöglicht, so Hermann. Sie habe damit zweifellos hochwertige Arbeitsplätze geschaffen. „Aber dann stellt sie fest: es gibt Verkehr.“

Die von Ditzingen gewünschte zweite Anschlussstelle der A 81 wäre 1,4 Kilometer von der bestehenden in Stuttgart-Feuerbach entfernt. Deshalb muss – noch ehe die Finanzierung geklärt ist – eine Ausnahme des gesetzlichen Mindestabstands von zwei Kilometern erwirkt werden. Ein Vollanschluss wäre auf Gerlinger Gemarkung und wird dort abgelehnt. Der langjährige Trumpf-Chef Berthold Leibinger und der Ditzinger Oberbürgermeister Michael Makurath hätten ihn „höflich, direkt und streng gebeten“, mit Berlin in Kontakt zu treten, um einen zweiten Anschluss prüfen zu lassen, berichtete Hermann. Sein Ministerium hatte das zuvor ausgeschlossen.

Ein entsprechendes an Berlin gerichtetes Schreiben aus dem Hause Hermanns mit der Bitte um „wohlwollende Prüfung“ hat im Sommer erheblichen Unmut in Gerlingen ausgelöst. Damals erklärte der Sprecher des Landesverkehrsministerium, „das Bedürfnis der bedeutenden Firmen im Auge behalten“ zu müssen.

Das bekräftigt er auch jetzt wieder. Doch Hermann könne nicht „der Problemlöser per se“ sein. In Gerlingen hat der Minister am Dienstagabend nämlich auch beteuert, die Ditzinger Pläne nicht gegen den Willen der Gerlinger umzusetzen: „Wir bauen keinen Anschluss gegen eine Kommune.“ Gleichwohl reflektierte er auch die Situation der Nachbarn: „Ich bestreite nicht, dass Ditzingen ein Problem hat“, sagte er mit Blick auf die Autobahnzufahrt: „Die Siemensstraße funktioniert nicht.“

Eine Optimierung sei aus heutiger Sicht „nicht ganz einfach“, da man nicht kurzerhand über die Flächen verfügen könne. Er wolle aber gerne an einer Lösung mitwirken, „die im Interesse aller funktioniert“, sagte er. Diese werde nun im nachgeordneten – also im lokalen und regionalen – Straßennetz gesucht. Zuvor hatte Hermann eine Alternative eines neuen Anschlusses in die Diskussion eingebracht: Eine Parallelstraße könnte die Siemensstraße entlasten, ähnlich wie am Flughafen oder in Stuttgart-Vaihingen. Doch diese Lösung schlage mit 40 Millionen Euro zu Buche. Und auch sie sei weder vom Land noch vom Bund gewünscht. Aber „wer wünscht, muss bezahlen. Ich weiß nicht, ob das Ditzingen schon bedacht hat“.

Der Auftritt des Verkehrsministers bestärkte die Gerlinger Rathausspitze und den Gemeinderat in seiner Haltung. Allerdings machte Hermann auch deutlich, dass in diesem Interessenkonflikt Ditzingen wohl „noch lange dran herumbohren“ werde. Zumal eben auch die Wirtschaft ein erhebliches Interesse an dem Projekt habe.

Allerdings nahm Hermann durchaus verwundert auch zur Kenntnis, dass die Gerlinger vor allem dieses eine Thema umtreibt. Im Jugendgemeinderat, bei dem er zuvor Rede und Antwort gestanden hatte, war die Anschlussstelle nämlich ebenfalls zur Sprache gekommen. Die Jugendlichen um ihre Sprecher Rebecca Stotz, Kushtrim Shala und Mario Parrilla wollten von dem Minister unter anderem wissen, was sie in dieser Situation tun könnten. Der Gerlinger Grünen-Stadtrat Achim Breit, der den Minister ebenso wie der Landtagsabgeordnete Markus Rösler begleitete, riet, sich an den Ministerpräsidenten zu wenden.

Darüber hinaus konfrontierten die Jugendlichen den Minister mit der Frage, ob der Einfluss von Unternehmen nicht eine Gefahr für die Gesellschaft sei. Jede Politik müsse Wirtschaftinteressen berücksichtigen. So wie sie auch etwa den Naturschutz und die Anwohnerinteressen berücksichtigen müsse, antwortete er. „Es hängt von der Politik ab, ob sie sich zum Handlanger von Interessen macht.“