Die LBBW hat ihr Zentrum für den baden-württembergischen Mittelstand über die Virgin Islands abgewickelt. Bank und Staatsanwaltschaft prüfen den Fall.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Antwort der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) war kurz und bündig. Ob man in Russland ohne Korruption überhaupt Geschäfte machen könne? „Ja“, versicherte ein Konzernsprecher. Ansonsten könnte die Bank wohl kaum guten Gewissens Mittelständler aus dem Südwesten nach Moskau locken. Dort bietet sie ihnen seit wenigen Monaten einen Stützpunkt, von dem aus sie ihre Aktivitäten entfalten können: das German Centre, ein elfstöckiger Neubau auf der Moskwa-Halbinsel Nagatino, acht Kilometer vom Kreml entfernt. Bis zu 120 Firmen sollen die Büroräume eines Tages als Basis für ihr Russlandgeschäft nutzen, 16 sind es derzeit – darunter der Tunnelbauer Herrenknecht und das Einrichtungshaus Schildknecht.

 

Ausgerechnet die LBBW-Immobilie selbst nährt nun Zweifel an den Praktiken in Russland. Seit zwei Wochen prüft die Staatsanwaltschaft Stuttgart, ob bei dem Kauf des gut 100 Millionen Euro teuren Projekts Korruption im Spiel gewesen sein könnte. Noch sieht sie keinen ausreichenden Anfangsverdacht, noch handelt es sich nur um Vorermittlungen. Doch die Bank hat schon einmal mehrere Aktenordner mit Unterlagen geliefert, die die Staatsanwälte nun auswerten dürfen. Intern untersucht sie das Geschäft bereits seit zwei Jahren und entdeckte diverse Merkwürdigkeiten. „Greifbare Hinweise auf Korruption“, heißt es, habe man freilich nicht gefunden.

Für Experten inner- und außerhalb der Bank riecht es jedoch gewaltig danach. Hochdubios erscheint ihnen die Art und Weise, wie der Kauf um das Jahr 2008 herum abgewickelt wurde. Schon länger hatte die LBBW-Immobilientochter im Auftrag des Konzerns nach einem passenden Standort für ein German Centre gesucht. Vergebens: „Entweder waren die Entstehungskosten zu hoch, die Lage war nicht geeignet oder sonstige Risiken waren zu hoch“, hieß es in einem internen Antrag. Die Lösung brachte ein Kontakt zwischen dem damaligen LBBW-Chef Siegfried Jaschinski und dem Moskauer Oberbürgermeister Jurij Luschkow. Er verwies die Schwaben an einen heimischen Projektentwickler, der genau das Passende für sie habe: das bereits im Bau befindliche Projekt im Nagatino-Industriepark.

Verkäufer war eine Firma mit dem Namen Moscow Business Incubator, kurz MBI. Für den Kauf gründete die LBBW, zusammen mit einem russischen Partner, eine Projektgesellschaft in Luxemburg. Geschäftsführer wurden Ralf Nisar von der LBBW Immobilien und Jurij Saikin von der Firma Ergomash Development Ltd, mit dem die Bank in Russland schon länger zusammenarbeitete. Der Verkäufer MBI bestand laut internen Dokumenten auf eine „Zweiteilung des Geschäfts“. So kam es zu jener Konstruktion, die heute so anrüchig erscheint: für ein Drittel der Kaufsumme, gut 30 Millionen Euro, sollte die LBBW eine Objektgesellschaft auf Zypern namens Flantir Ltd kaufen, und zwar von einer Gesellschaft namens Jacintha Ltd mit Sitz auf den British Virgin Islands, einem Paradies für Briefkastenfirmen in der Karibik. Deren Hintermänner kennt die Bank bis heute nicht. „Wer letztlich wirtschaftlich Berechtigter war, geht es aus den Akten nicht hervor“, bestätigte ein Sprecher.

Zypern, Virgin Islands, dazu Bank- und Anwaltsgeheimnis – „das gibt mir einen ganz guten Rauchschleier, hinter dem ich die ganze Transaktion verstecke“, sagte der Korruptionsexperte Mark Pieth von der Universität Basel dem SWR. „Und auf diesem Umweg, wenn ich mehrere Stufen einbaue, zweige ich irgendwo zehn, zwanzig, dreißig Millionen Euro ab.“ Der Bankenrechtsexperte Julius Reiter sah das Firmengeflecht gegenüber dem Sender ebenso kritisch: „Bei diesen Konstruktionen würde ich gar nichts ausschließen.“

Auch der Bank selbst war die Abwicklung des Geschäfts erkennbar suspekt. Dass man sich über Warnungen hinwegsetzte, sagt ein Sprecher im Rückblick, „trifft nach Aktenlage nicht zu“. Interne Unterlagen der LBBW Immobilien GmbH aber nähren genau diesen Eindruck. Mal heißt es da, dass die Transaktion über die British Virgin Islands „auch unter Compliance-Gesichtspunkten zu hinterfragen ist“. An anderer Stelle wird problematisiert, dass der Verkauf über mehrere ausländische Akteure „für die offizielle russische Seite nicht sichtbar“ sei. Compliance-Aspekte, so das Fazit, seien „so weit als möglich geprüft“ – soll wohl heißen: sie ließen sich nur teilweise prüfen.

Die Immobilientochter wollte den Verkauf eigentlich abblasen

Für die Immobilientochter überwogen denn auch die Bedenken. Wegen der „zähen Haltung des Verkäufers, in wesentlichen Vertragspunkten kein Entgegenkommen zu zeigen“, wollte sie das Projekt eigentlich abblasen. Zustande kam es nur, weil die LBBW Druck machte und das German Centre in Moskau offenkundig „auch politisch gewollt“ war. Mit der im gleichen Dokument verheißenen „schnellen Umsetzung“ wurde es indes nichts. Bereits im Mai 2009 weihte der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger den Rohbau feierlich ein; nach dem Innenausbau, hieß es, könnten Anfang 2010 die ersten Mieter einziehen. Tatsächlich dauerte es bis September 2011. Neben den ersten 16 Firmen gebe es „mehrere Dutzend weitere Interessenten“, berichtet die LBBW. Die bei solchen Projekten üblichen Anlaufverluste seien „sogar niedriger als geplant“.

Kurz nach seinem Amtsantritt 2009 ließ der neue Bankchef Hans-Jörg Vetter das Geschäft von einer „namhaften Unternehmensberatung“ durchleuchten. Seit 2010 sind auch Vetters Hausanwälte von White & Case beauftragt, Haftungsfragen zu prüfen. Die Untersuchungen seien „weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen“, heißt es. Dem Vernehmen nach soll der Aufsichtsrat an diesem Donnerstag erneut unterrichtet werden; man habe die Kontrolleure schon bisher „umfassend“ auf dem Laufenden gehalten, betont die Bank.

Ohne das Interesse der neuen grün-roten Vertreter in dem Gremium wären die Merkwürdigkeiten indes wohl kaum öffentlich geworden – und hätten nicht die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Insidern erscheint es problematisch, dass der White&Case-Anwalt Nils Klemm, ein langjähriger Weggefährte Vetters, entscheidet, was er als eventuell strafrechtlich relevant den Ermittlern vorlegt und was nicht. Dabei haben diese ganz andere Möglichkeiten als die Bank, die darauf verweist, dass die „damaligen Verantwortlichen . . . sämtlich nicht mehr im Amt sind“ und daher „Aufklärung nur nach Aktenlage“ erfolgen könne. Sobald ein Verfahren läuft, dürfen die Staatsanwälte auch Zeugen hören, etwa den früheren LBBW-Immobilien-Geschäftsführer Nisar, gegen den ohnehin in anderem Zusammenhang ermittelt wird.

Der Bankenrechtler Reiter empfahl der Landesregierung im SWR jedenfalls, auf lückenlose Aufklärung zu dringen. Sie dürfe sich „nicht damit zufriedengeben, dass es ein Gutachten geben soll, das bisher keine Verantwortlichkeiten festgestellt hat“.