Seit fast 90 Jahren ist das kleine Lebensmittellädle an der Durchgangsstraße im Allmersbach im Tal eine Anlaufstelle für Einheimische. Ende Juni machen Irma und Günther Pavan Schluss. Das Ende einer Ära.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Allmersbach im Tal - Günther Pavan hat ziemlich viel Zeit zum Reden, zu viel, sagt der Einzelhändler mit Kittelschurz, der hinter seiner Kasse sitzt und ein bisschen gequält lächelt. Die Kundschaft macht sich rar. Schon seit gut zehn Jahren sinke der Umsatz, erzählt der Mann, der nie länger Urlaub gemacht hat als maximal zehn Tage – zehn Tage pro Jahr wohlgemerkt.

 

Bald hat Günther Pavan, Mitte sechzig, der zusammen mit seiner 87-jährigen Mutter Irma Pavan das kleine Lebensmittellädle mitten in Allmersbach im Tal betreibt, noch viel mehr Zeit. Von Juli an kann sich Herr Pavan seine Zeit erstmals völlig frei einteilen. Tante Emma und ihr Sohn machen nämlich Schluss. Das Ende einer Ära.

Ein Anruf, wenn mal der Lottoschein fehlt

Das wird für die wenigen verbliebenen Stammkunden ein herber Einschnitt. Im Ort gibt es zwar ein weiteres, größeres Lebensmittelgeschäft. Aber Menschen wie Dörte Kohlscheen sind traurig, wenn sie daran denken, dass die Türe zum Laden in der Backnanger Straße 22 bald für immer abgeschlossen wird. Dörte Kohlschnee ist an diesem Frühlingsvormittag zum Großeinkauf zu den Pavans gekommen. Die Dame stammt aus Norddeutschland. Sie wohnt seit 40 Jahren in Allmersbach und erzählt, dass sie kleine Läden generell lieber möge als riesige Supermärkte. Die Waren seien kaum teurer, die Atmosphäre familiär. Herr Pavan, sagt sie, bestelle auf ihren Wunsch spezielle Waren, etwa ihren Lieblingssaft. Und er rufe mitunter bei ihr daheim an, „weil ich und mein Mann wir sind halt Schlamper“, die beiden vergessen mitunter den Lottoschein auszufüllen. Dass im Juli Schluss ist, das sei ein Trauerspiel.

Irma Pavan hört zunächst nur zu beim Gespräch mit ihrem Sohn, sie guckt verschmitzt aus wachen Augen – erst nach einem Weilchen taut die rüstige Seniorin auf, die 1929 im ersten Stock des Hauses das Licht der Welt erblickt hat. Jetzt erzählt sie von früher. Die tollsten Geschichten. Die Mutter, also Günther Pavans Oma, habe das Geschäft wenige Jahre vor ihrer Geburt eröffnet. Früher habe sie die Waren mitunter mit dem Fahrrad geholt, direkt vom Hersteller, so Irma Pavan, zum Beispiel Zigarren aus Oberndorf und Kekse von einer Fabrik in Schorndorf. Im Winter habe sie sich manchmal sogar mit den Schlittschuhen auf den Weg gemacht zu den Lieferanten. Bergab sei sie gesaust und wenn es bergauf ging, dann habe sie sich manchmal frech an einem Lastwagen festgehalten und ein Stück weit ziehen lassen. Süßwaren habe sie mit dem Zug aus Cannstatt und aus Waiblingen geholt.

Umschlagplatz für Tratsch im Flecken

Das waren noch Zeiten. Arbeitsintensive, aber auch schöne Zeiten für Irma Pavan. Anno dazumal habe kein Hahn danach gekräht, wenn das Geschäft auch sonntags offen war. Bis 1972 sei das Lädle nicht einen Tag geschlossen gewesen. Die Bauern seien oft nach einem langen Tag auf den Feldern noch spät abends vorbei gekommen zum Einkaufen. Früher ist das Lädle bestimmt auch d e r Umschlagplatz für Neuigkeiten und für ein bisschen Tratsch im Flecken gewesen. Die Pavans haben einst die Postfiliale in Allmersbach im Tal betrieben, und sie hatten längst nicht nur Lebensmittel im Sortiment, sondern auch jede Menge Kurzwaren und Bürobedarf.

Die Regale leeren sich allmählich. Günther Pavan bestellt nicht mehr alle Waren nach. In der letzten Juniwochen beginne der Ausverkauf. Dann werde alles mit Rabatt abgegeben. Und dann? Gute Frage. Irma Pavan sagt, sie wolle sich keinesfalls „rumärgern mit anderen Leuten", sprich: die Räume nicht vermieten oder verpachten. Was sie von Juli an tun werde? „Das was alle machen“, sagt sie. Wie fast alle in ihrem Alter. „Nichts.“

Günther Pavan hat auch keine ganz großen Pläne. Er werde wieder zehn Tage Sommerurlaub machen, diesmal im Salzkammergut. Erstmals werde er aber im Herbst noch mal ein paar Tage wegfahren – mit Freunden nach Mallorca.

Künftig müssen sich Günther und Irma Pavan eigentlich nur bei einer Sache völlig umstellen: Sie müssen Lebensmittel einkaufen – für den Alltag ohne eigenes Lädle.