Was beim Schuhmacher, Juwelier oder Fotohändler in Auftrag gegeben wird, bleibt bisweilen liegen. Die Geschäftsleute bleiben dann auf ihrer investierten Arbeitszeit und dem Material sitzen.

Böblingen: Leonie Schüler (lem)

Stuttgarter Norden - Fast 300 Paar herrenlose Schuhe türmen sich im Lagerraum des Zuffenhäuser Schuhmachers Senol Sag. Ein paar einzelne Exemplare hat er über seiner Ladentheke auf ein Brett genagelt. „Da habe ich Dekoration draus gemacht“, sagt Senol Sag und lacht. Sandalen, Stiefel oder Pumps, billige Latschen oder teure Designerschühchen von Joop, Größe 36 oder 46 – das vergessene Schuhwerk könnte unterschiedlicher kaum sein. Gemeinsam haben sie nur, dass ihre Besitzer sie nicht vermissen. „Für mich ist das nicht gut. Ich mache die Schuhe fertig, investiere Arbeitszeit und Material und bleibe dann darauf sitzen“, sagt der Schuhmacher, der seit 26 Jahren sein Geschäft an der Unterländer Straße führt. Seit ein paar Monaten bittet er die Kunden deshalb darum, im Voraus zu bezahlen. Aber das klappt nicht immer: „Wenn jemand sagt, dass er kein Geld dabei hat, dann mache ich’s auch so.“

 

Laut Abholschein bleibt den Kunden sechs Wochen Zeit, um ihren Auftrag abzuholen. Senol Sag wartet jedoch mindestens ein halbes Jahr ab, ehe er die Schuhe aussortiert. Wegwerfen kommt für ihn aber nicht in Frage, stattdessen gibt er die meisten Paare an die evangelische Kirche in Stammheim. Seinem Zuffenhäuser Kollegen Friedrich Hirschkorn ist es schon passiert, dass ein Kunde nach mehr als einem Jahr mit seinem Abholschein vorbeikam. „Viele geben im August ihre Sandalen ab und im nächsten Mai fällt es ihnen wieder ein“, sagt er.

Nicht nur Bestellungen werden vergessen

Auch Susanne Partl-Hilt kennt das Problem. In ihrem Zuffenhäuser Fotogeschäft werden immer wieder entwickelte Bilder oder manchmal auch größere Aufträge wie bedruckte T-Shirts nicht abgeholt. Sogar Porträts, mit viel Aufwand im Fotostudio produziert, bleiben mitunter liegen – sogar dann, wenn sie bereits bezahlt sind, sagt Partl-Hilt. Am skurrilsten sei bisher gewesen, als Hochzeitsbilder nicht abgeholt wurden. „Irgendwann haben wir den Kunden angerufen und er hat gesagt: ,Ach, wir sind schon längst wieder geschieden!‘“, erinnert sich die Fotografenmeisterin. Allerdings seien es nicht nur Bestellungen, die vergessen würden. Brillen, Autoschlüssel oder sogar Winterjacken bleiben in dem Fotogeschäft liegen, erzählt Partl-Hilt. Ganz besonders ärgert sie sich, wenn Kunden zu extra vereinbarten Terminen viel zu spät kommen oder überhaupt nicht erscheinen. „Wenn wir dann anrufen, heißt es manchmal: ,Oh je, wir liegen noch im Bett‘“, berichtet sie und schüttelt den Kopf. Sie bedauert, dass der Respekt gegenüber Geschäftsleuten insgesamt immer mehr verloren gehe. Auch Friseure oder Ärzte hätten unter dieser Unzuverlässigkeit zu leiden.

Kisten voller herrenloser Uhren und Schmuck

Der Uhrmachermeister Klaus Kohler hat in seinem Geschäft mehrere Kisten voller herrenloser Uhren und Schmuck. Zum Teil liegen sie schon seit den 80er Jahren dort, im Jahr kommen etwa zehn neue hinzu. „Normalerweise sind es preiswerte Sachen, die nicht abgeholt werden. Aber wir haben auch eine goldene Uhr“, sagt der Feuerbacher Juwelier. In seiner Branche müssten die in Reparatur gegebenen Gegenstände etwa 30 Jahre lang aufbewahrt werden. Einmal im Jahr schauen Klaus Kohler und seine Frau Renate die Überbleibsel durch und rufen die Besitzer entweder an oder schicken ihnen eine Erinnerungskarte. „Etwa die Hälfte davon wird dann abgeholt“, schätzt Kohler. Liegen die Wertsachen nach etwa fünf Jahren immer noch in Kohlers Schatzkiste, folgt eine weitere Erinnerung per Einschreiben. Bleibt diese ohne Reaktion, könne er den Gegenstand versteigern lassen. „Von dem Gewinn kann man die Kosten für die Reparatur und für die Versteigerung einbehalten. Was übrig bleibt, muss man für den Kunden aufbewahren.“ Soweit die Theorie. Er selbst habe allerdings noch keine Versteigerung durchgeführt, denn in den wenigsten Fällen seien damit überhaupt die Reparaturkosten zu erzielen.