Der Irak ist ein Produkt des Kolonialismus. Die Briten haben damals rücksichtslos zusammengesetzt, was nicht zusammengehört. Mit den Auswirkungen hat das Land noch heute zu kämpfen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Der Bericht ist von einer bedrückenden Offenheit. In Bagdad seien die Dinge sehr viel schlechter als erwartet. Die Verwaltung funktioniere nicht – „wir stehen vor einer Katastrophe“. Diese Zeilen schrieb Lawrence von Arabien in der „Sunday Times of London“ am 22. August 1920. Der Mann wusste, um was es geht. Er war maßgeblich daran beteiligt, die Türken mit einer ausgeklügelten Guerillataktik aus der Region zu jagen und den Irak zu dem zu machen, was er heute ist – ein ziemliches Durcheinander.

 

Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Briten ein Auge auf den Landstrich geworfen. Sie wollten den Weg nach Indien und die Ölvorräte in der Region sichern. Also begannen sie nach dem Ende des Osmanischen Reichs, das Land aufzuteilen. In ihrer kolonialen Überheblichkeit fügten sie zusammen, was nicht zusammengehörte.

Die schiitische Mehrheit wurde von der Herrschaft ausgeschlossen

Aus drei ehemals osmanischen Provinzen – dem kurdischen Mossul, dem sunnitischen Bagdad und dem schiitischen Basra – zimmerten sie einen Kunststaat. Sie schlossen die schiitische Mehrheit von der Herrschaft aus. Die sunnitische Minderheit dagegen sollte die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden in einen Staat zusammenzwingen. Zum König machten die Briten Faisal ibn Hussein, einen Haschemiten aus dem fernen Mekka, der die Region noch nie zuvor betreten hatte.

Wer glaubte, der Irak würde nun in die Selbstständigkeit entlassen, sah sich getäuscht. London bestimmte weiter die Geschicke des Landes, man wollte die Macht über das Erdöl nicht aus der Hand geben. Das musste auch der Führer der damals einzigen „Opposition“ am eigenen Leib erfahren. Said Talib al-Naqih wurde in jenen unruhigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg vom britischen Verwalter des Irak, Percy Cox, zum Tee geladen, um über die Zukunft des Landes zu plaudern. Als der Gast die Forderung stellte, der Irak müsse von Irakern regiert werden, ließ Cox den Gast ins Exil bringen.

Der neue Hochkommissar spaltete den Widerstand

42 000 britische Soldaten waren 1918 im Land, in Bagdad residierte ein Hochkommissar, „politische Offiziere“ kontrollierten die Provinzen. Verschiedene arabische Gruppierungen leisteten Widerstand. Schon Ende 1918 erfassten erste Unruhen das Land. Im Jahr darauf wurden englische Einheiten aus ihren Garnisonen im kurdischen Norden vertrieben. Schiitische Geistliche versorgten ihre Anhänger mit Fatwas, religiösen Rechtsgutachten, wonach der Dienst unter Briten einen Verstoß gegen die Religion darstelle. Bis 1920 hatten sich die sunnitischen Widerstandsgruppen und die schiitischen Kämpfer zusammengefunden. Weite Teile des Landes mit Ausnahme Basras, Mossuls und Bagdads entglitten der Kontrolle der Briten. Der Hochkommissar forderte neue Truppen aus England an. Bevor sie in Aktion treten konnten, wurde er abgelöst.

Der neue Hochkommissar, ebenjener Percy Cox, änderte die britische Strategie: Er spaltete den Widerstand, indem er die sunnitischen Kreise in eine „nationale Regierung“ einband, aus der sich 1921 die erste irakische Monarchie entwickelte. Viele Sunniten stellten die Kampfhandlungen ein. Überdies wurde das Missverhältnis in der Bewaffnung immer deutlicher. Die 130 000 Aufständischen verfügten nur über wenige moderne Handfeuerwaffen gegenüber einer hochgerüsteten britischen Armee.

Der Attentäter war ein junger Heißsporn: Saddam Hussein

Im November 1920 brach der Widerstand zusammen. 10 000 Rebellen waren getötet worden. Aber der Preis für die Briten – 2000 Verwundete, 453 Gefallene und Kriegskosten von damals 40 Millionen Pfund – bewog die Besatzer, ihre Zügel zu lockern. Die irakische Monarchie war der Ursprung für den späteren souveränen irakischen Staat. Im Jahr 1958 stürzte der arabische Nationalist Abdal Karim Kassem den regierenden irakischen König Faisal II. Aber auch Kassem, der sich selbst zum Präsidenten gemacht hatte, musste sich gegen seine Widersacher wehren. 1959 entging er knapp einem Anschlag. Der Attentäter war ein junger Heißsporn: Saddam Hussein. Der flüchtete nach dem missglückten Anschlag nach Syrien, kehrte zehn Jahre später aber zurück – mit dem allseits bekannten Ergebnis.