Verstecken gilt nicht. Tanzlehrerin Christine Junghans bringt in der Turnhalle des Vereinsheims der TSVgg Stuttgart-Münster jedem das Tanzen bei.

Münster - Verstecken gilt nicht. „Thomas, komm hinter der Säule vor, wir sehen dich“, ruft Christine Junghans bestens gelaunt quer durch den Saal. Männer sollten gewarnt sein: Ich tanz’ nicht, gibt’s nicht! Wer an Mittwochabenden einen Fuß in die Turnhalle des Vereinsheims der TSVgg Stuttgart-Münster setzt, kann unmöglich den Drückeberger spielen. Selbst eine Knieverletzung könnte als Ausrede scheitern. Schließlich beginnt alles, wie die schneidige Tanzlehrerin mit dem feurig-roten Haar erklärt, „mit ein bisschen Wackeln der Hände“. Die aber haben zum Sound von Tom Jones’ „Sexbomb“ an den richtigen Stellen zu sitzen: „Bauch, Bauch, Popo, Popo uuund Hüfffte!“

 

Thomas hat sich inzwischen brav eingereiht zwischen die Line Dancer, die an diesem Abend gemäß der amerikanischen Tanztradition die Halle nebeneinander durchpflügen. Denn ihr klassisches Standard- und Latein-Angebot hat die Abteilung neuerdings erweitert, um auch Alleintanzende einzubeziehen. Die Resonanz sei sehr gut, sagt die Abteilungsleiterin Brigitte Winter, die selbst allerdings nur selten in die Verlegenheit kommt, allein eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen. Zusammen mit ihrem Mann Manfred hat sie nicht nur ihre Tanztrainerausbildung vorangetrieben, sondern auch schon erfolgreich Turniere bestritten. Als besonderen Erfolg kann sie noch verbuchen, dass sie zuletzt vier Paare von der Fußballabteilung dazu gebracht hat, auch das Tanzbein zu schwingen. Womit? „Mit Spaß“, sagt die 49-Jährige, die nach dem perfekten Schwebezustand beim Walzer strebt und in ihrer Freizeit auch noch Energie zum Joggen, Judo und Bogenschießen hat: „Bei uns steht nicht die Leistung im Mittelpunkt.“ Vielleicht ist die Stimmung in diesen zwei Stunden deshalb bei aller Konzentration so auffallend ausgelassen.

Erfahrung mit Härtefällen

Der Kurs ist nicht von Anfang bis Ende durchchoreografiert. Anfänger können jederzeit einsteigen. Nur keine Scheu: Christine Junghans hat Erfahrung mit echten Härtefällen. Selbst fehlendes Taktgefühl kann die Mutter von zwei kleinen Jungs nicht schrecken. „Mit Geduld geht alles“, sagte sie: „Ich hatte mal einen Bodybuilder, der hat sich nach drei Jahren von mir weichklopfen lassen.“ Ihr Geheimnis: Sie versuche bei jedem herauszufinden, wie sie ihn ansprechen muss, sagt die 43-Jährige – den Fußballer anders als den Computermenschen. Auf diese Weise hat Junghans, die selbst mit einem erfolgreichen Tänzer verheiratet ist, offenbar auch herausgefunden, wie sie die Schritte an den Mann bringt – zum Beispiel mit dem „Autofahrer-Line-Dance“: „Gas, Gas, Bremse, Bremse, Tür auf, raus.“ Heißt in Bewegung übersetzt: zweimal die Fußspitze auf den Boden tippen, zweimal die Ferse, Kick zur Seite und Sprung seitwärts. Und dabei bloß nicht aus der Reihe tanzen! Beim anschließenden Paartanz dürfen auf Anweisung von Junghans „die Jungs“, die allesamt die 50 bereits überschritten haben dürften, „die Mädchen“, die auch nicht wesentlich jünger sind, „enger fassen“: „Hände an den BH-Verschluss.“

Gekichert wird bei solchen Kommandos längst nicht mehr – denn Christine Junghans weiß, was sie anordnet. Erstens hält sie die Truppe ordentlich auf Trab, bevor die sich zum gemütlichen Viertele zusammensetzen darf. Zweitens liebt sie wohl nicht ohne Grund den Tango am meisten, „weil er beides verbindet: das Weiche und das Harte“. Und drittens hatte sie sich bis zur A-Klasse Standard und Latein hochgetanzt, bevor ihr Rechtsanwalts-Beruf seinen Tribut forderte.

Heute ergänzen sich Beruf und Berufung bei ihr aufs Wundersamste. Denn offenbar ist neben den Tanzschritten die Psychologie ein nicht ganz unwichtiger Part der Trainerausbildung. „Wichtiger als die Schritte“, glaubt Junghans sogar. Wenn Zwei verstimmt sind, harmonieren sie eben auch nicht auf Anhieb im Viervierteltakt und enden vielleicht in einer Diskussion, wer jetzt wieder auf wem herumgetrampelt ist. Auch tiefere Abgründe hätten sich in manchen Kursen schon aufgetan, sagt Christine Junghans. In solchen Situationen braucht sie ihr Taktgefühl. Und als einmal gar nichts mehr zu helfen schien, tat es ein Hinweis auf ihre Kenntnisse im Familienrecht. Plötzlich fand das Paar doch wieder einen gemeinsamen Rhythmus.