Zehntklässler aus Bietigheim-Bissingen widerlegen das Klischee, dass sich die Schüler eines Technischen Gymnasiums nicht für Geschichte interessieren. Die Bundeszentrale für politische Bildung belohnt ihre Arbeit mit einem Preis.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Bietigheim-Bissingen - Nathaniel, Jim, Milena und die anderen Schüler der zehnten Klasse erzählen gerne von der Arbeit der vergangenen drei Schuljahre. Sie haben viel gelernt – freiwillig. Ihr neues Wissen sprudelt nur so aus ihnen heraus. Damit widerlegen sie auch das Vorurteil, Schüler – zumal die eines Technischen Gymnasiums – interessierten sich nicht für Geschichte. Die 24 Zehntklässler des Technischen Gymnasiums am Berufsschulzentrum Bietigheim-Bissingen haben jetzt jedenfalls eine Vorstellung davon, wie das war, als Kinder während des Zweiten Weltkriegs aufs Land verschickt wurden, um sie vor dem Bombenhagel in der Stadt in Sicherheit zu bringen. Dass die Kinder damit auch stärker unter der Kontrolle des nationalsozialistischen Staates standen, haben die Schüler dabei ebenfalls gelernt.

 

Ihre anhaltende Neugierde wird nun belohnt. Die Zehntklässler haben mit ihrer Dokumentation „Die Kinderlandverschickung – Ferien vom Bombenkrieg?“ den ersten Preis im Geschichtswettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung gewonnen. Dass so viele Kinder während des Zweiten Weltkriegs aufs Land verschickt wurden und sie selbst so wenig darüber wussten, hat die Gymnasiasten am meisten überrascht. Schließlich waren es, so haben die Schüler recherchiert, zwei Millionen Kinder, die zwischen 1940 und 1945 fern von ihren Eltern lebten. Diese Wissenslücke hat bereits in der achten Klasse das Interesse der Gymnasiasten geweckt.

Das Interesse an Geschichte war immer da

„Sie waren von Anfang an alle sehr interessiert an historischen Themen“, sagt ihre Klassenlehrerin Lena Ambrus. Da die 32-Jährige in der Klasse nicht nur Geschichte, sondern auch Deutsch unterrichtet, tat sie das Ihrige, um das Interesse der Schüler zu fördern – vom Mittelalter bis hin zu Themen der jüngeren Vergangenheit. So nahm sie im Deutschunterricht Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ durch. Die Schüler wollten mehr über die beiden Weltkriege und den Alltag damals erfahren. Lena Ambrus lieferte offenbar die richtigen Informationen – und eine verlockende Ausschreibung der Bundeszentrale für politische Bildung gleich dazu.

Dafür haben die Schüler sich intensiv mit der Zeit beschäftigt, in der ihre Großeltern Kinder waren. Sie haben einen Fragebogen erarbeitet und vier Zeitzeugen befragt: Sie wollten beispielsweise wissen, wie diese den Bombenkrieg und den Einfluss der NS-Ideologie während der Kinderlandverschickung erlebt haben. Am Ende listeten die Jugendlichen auf, was aus ihrer Sicht für und was gegen die Kinderlandverschickung spricht. Denn aus ihren Interviews wussten sie, dass sich manche gerne an diese Zeit ihrer Kindheit erinnern, während andere dieser Phase ihres Lebens durchaus kritisch gegenüberstehen.

Zeitzeugen widersprechen historischen Quellen

Ganz nebenbei lernten die jungen Forscher auch, dass sich die Aussagen von Zeitzeugen stark von dem unterscheiden können, was historische Quellen sagen. Ein Lied etwa, das Zeitzeugen als unbeschwertes Kinderliedchen in Erinnerung haben, war durch und durch antisemitisch: „Wir dulden keine fremde Rasse, fern bleibt der Itz von Zinnowitz“, hieß es da – Juden gehörten nicht dazu.