Das Ritual findet in vielen Ländern in einer rechtlichen Grauzone statt. Das zeigt eine Übersicht. Der Grüne Memet Kilic warnt vor einem Schnellschuss hierzulande.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Berlin - Die religiösen Verbände haben die Chance gesehen, die Diskussion in Deutschland abzuwürgen.“ Es sind harte Vorwürfe, die der integrationspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Memet Kilic, in der Debatte über die Zulässigkeit von Beschneidungen erhebt. Der Pforzheimer Bundestagsabgeordnete – selbst Muslim und Vater zweier Söhne – kritisiert, dass von den Organisationen „die  große Keule herausgezogen“ werde, wenn sie etwa Zweifel äußerten, ob jüdisches oder muslimisches Leben künftig in Deutschland noch möglich sei. Auf dem Hintergrund des Holocaust behinderten solche Argumente eine offene Aussprache darüber, unter welchen Bedingungen das religiös begründete Ritual in Deutschland erlaubt sein solle, beklagt der Jurist.

 

Die Eckpunkt, die die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger für eine Neuregeltung vorgelegt hat, hält Kilic ebenfalls für verfehlt. „Es geht um einen operativen Eingriff. Der muss von Kliniken und Ärzten vorgenommen werden.“ Die FDP-Ministerin will auch gestatten, dass vergleichbar befähigte Personen, „die von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehen“ sind, die Prozedur abwickeln dürfen. Dies soll den Einsatz jüdischer Mohel (Beschneider) legitimieren. Leutheusser-Schnarrenberger orientiert sich dabei wohl an dem schwedischen Modell. Nach einer Übersicht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hat das skandinavische Land als einziges in Europa bereits 2001 die Beschneidung eigens gesetzlich geregelt. Die Zirkumzision wird dort zwar als ein „den Körper störender Eingriff“ bewertet, ist aber im Sinne der Religionsfreiheit zugelassen. Grundsätzlich dürfen nur Ärzte tätig werden, bei Jungen unter zwei Monaten auch Personen, die vom Gesundheitsministerium eigens legitimiert sind. Trotz dieser Regelung ist die Debatte in Schweden nicht verstummt. Öffentliche Krankenhäuser verweigern den Eingriff. Kinderärzte fordern ein Verbot, ihre Gegner ein Recht auf Beschneidung. Ähnlich ist die Lage andernorts. In Finnland hat der Oberste Gerichtshof die Beschneidung unter bestimmten Bedingungen gebilligt und dabei auch darauf abgehoben, dass der Eingriff vergleichsweise harmlos sei. Dennoch wird in der Regierung eine gesetzliche Regelung erörtert. In Norwegen liegt seit 2011 ein Gesetzesvorschlag vor, blieb aber zunächst folgenlos. Jüngst flammte die Debatte wieder auf, weil ein Säugling an den Folgen einer Beschneidung gestorben sein soll.

Keine einheitlichen Regelungen in Europa

In England herrscht Gewohnheitsrecht. In Österreich sind Beschneidungen vom Verbot ästhetischer Eingriffe bei Minderjährigen ausdrücklich ausgenommen. Insofern ist die Rechtslage eindeutig. Andernorts – in der Schweiz oder den Niederlanden – ist die Unsicherheit größer. Auch in den USA ist die Rechtslage unklar, der Eingriff aber Routine – sei es aus hygienischen oder religiösen Gründen. Die Beschneidung von Jungen gilt als zulässig, wenn die Erziehungsberechtigten sie befürworten. Anders ist die Sache, wenn das Kind ausdrücklich widerspricht. Dann haben Gerichte den Willen des Kindes schon öfter höher bewertet als den der Eltern.

Für Kilic zeigt die Übersicht, dass das juristische Problem international keinesfalls gelöst ist. Deutschland komme so europaweit eine Vorbildrolle zu. Eile im parlamentarischen Verfahren sei deshalb verfehlt. Er bemängelt, dass Eckpunkte vorliegen ohne eine öffentliche Anhörung zuvor: „Wenn wir die Diskussion derart stoppen, werden sich Rechtsradikale und Antisemiten des Themas bemächtigen.“