Der ehemalige Chef des Motorsägenherstellers Stihl, Hans Peter Stihl, feiert an diesem Dienstag seinen 85. Geburtstag. Im Gespräch sagt er, warum er immer noch jeden Tag ins Büro geht – und warum er zu Sehenswürdigkeiten ein gespaltenes Verhältnis hat.

StuttgartJahrelang hat er den Motorsägenhersteller Stihl geleitet, und auch heute noch lässt ihn das Geschäftsleben nicht los: Hans Peter Stihl ist ein Unternehmer durch und durch. Ein Gespräch über seine Karriere, die Sorge um den Dieselmotor und die Zukunft der IHK. -

 
Herr Stihl, Sie haben jahrzehntelang das von Ihrem Vater gegründete Unternehmen geführt. Was hat Sie als Unternehmer besonders geprägt?
Das war der Kampf um Marktanteile. Wir sind nach meinem Eintritt in das Unternehmen massiv expandiert – und etwa in den amerikanischen Markt eingestiegen. Das war ein harter Wettbewerb, denn wir trafen dort auf viele etablierte amerikanische Konkurrenten. Doch wir sind schnell stark gewachsen. Als uns 1971 schließlich ein Lieferant sagte, dass wir inzwischen sein größter Abnehmer wären, hat mich das sehr gefreut. Denn das hat gezeigt, dass unsere Strategie aufgegangen ist.
Hatten Sie viele solcher Glücksmomente in Ihrer Zeit als Stihl-Chef?
Schon. Der Moment, als Stihl die weltweit meistverkaufte Motorsägenmarke wurde, war ein glücklicher Augenblick. Schön war es auch, als wir 1985 beim Umsatz die Milliardenmarke geknackt haben, damals übrigens noch in D-Mark.
Was waren während dieser Wachstumsphase die wichtigsten Weichen, die Sie gestellt haben?
Das waren die Gründungen unserer ausländischen Produktionsgesellschaften in den USA, in Brasilien und in der Schweiz in den 1970er Jahren – der Aufbau unseres weltweiten Fertigungsverbundes.
Wie schwer war für Sie dann später der Übergang zu einem familienfremden Management?
Das war ein logischer Schritt. Wenn ein Unternehmen eine gewisse Größe erreicht hat, kann man nicht mehr unbedingt erwarten, dass unter den Nachkommen jemand ist, der besonders unternehmerisch begabt ist. Wenn es zudem unterschiedliche Bestrebungen bei den Eigentümerfamilien gibt, ist der Streit programmiert. Deshalb sollte sich die Familie in den Beirat zurückziehen. Von dort aus kann sie auch die strategische Entwicklung der Firma viel besser leiten und beurteilen. Ein Familienunternehmen ist ja etwas anderes als eine Aktiengesellschaft. Dort bekommt ein Vorstandsmitglied, wenn es Glück hat, zwei Amtszeiten. Unser Vorstandschef Dr. Bertram Kandziora kam 2002 zu uns und ist heute noch da.
Warum ist er noch da? Was ist bei der Besetzung eines Vorstandspostens mit einem familienfremden Manager wichtig?
Wir sind mit Herrn Dr. Kandziora sehr zufrieden. Das persönliche Verhältnis zwischen der Familie und dem Vorsitzenden der Geschäftsführung muss stimmen. Wenn der Mann erfolgreich arbeitet und sich an die Regeln der Familie hält, funktioniert das. Bei unserem ersten fremden Vorstandschef, Harald Joos, hat das nicht funktioniert, und er musste deshalb nach kurzer Zeit wieder gehen.
Welche Regeln hat die Familie aufgestellt?
Der Gesellschaftsvertrag regelt, was das Management darf und was nicht. Es darf beispielsweise Investitionen bis zu einer bestimmten Millionengrenze jederzeit tätigen. Wenn es darüber hinaus geht, muss der Beirat zustimmen. Ähnliches gilt für die Besetzung von strategisch wichtigen Führungspositionen.
Wie oft sprechen Sie mit Herrn Kandziora?
Relativ häufig. Wenn geplant wird, treffen wir uns fast täglich, sonst etwas weniger – mindestens aber einmal im Monat.
Sie sitzen hier ja in einem Gebäude direkt am Eingang zum Werk. Mal ehrlich: kontrollieren Sie, wann er kommt?
Manchmal sagen meine Schwester und ich im Spaß, dass wir das Gebäude extra direkt an die Pforte gebaut haben, damit wir sehen können, wer da rein und raus geht. Aber das ist natürlich nur ein Scherz. In Wirklichkeit hängen wir nicht dauernd am Fenster.
Wenn es nicht die Kontrolle ist, warum kommen Sie denn dann immer noch jeden Tag ins Büro? Hatten Sie nicht einmal eine Phase, in der Sie sich sagten, jetzt möchte ich mal wandern oder Kreuzfahrten machen?
Also Kreuzfahrten sind mir ein Gräuel. Ich bin beruflich weltweit viel unterwegs gewesen. Auch dort wollten mir die Geschäftspartner ständig die Sehenswürdigkeiten in den verschiedenen Städten zeigen. Irgendwann habe ich klargestellt, dass ich keine Sehenswürdigkeiten begutachten, sondern mich ums Geschäft kümmern will.
Interessieren Sie sich nicht für Kulturschätze?
Doch schon, aber es reicht mir, wenn ich sie einmal gesehen habe.
Viel rumgekommen sind Sie auch in Ihrer Zeit als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, der Spitzenorganisation der Industrie- und Handelskammern. Dort hatten Sie viel mit Politikern zu tun. Was haben Sie da für Erfahrungen gemacht?
Es kam immer auf die Personen an. Ich habe sehr viele Kontakte gehabt, auch mit Politikern aus der SPD und den Grünen. Besonders gut war mein Verhältnis aber zum damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, obwohl ich persönlich eigentlich immer mit der FDP sympathisiert habe. Die Liberalen sind für mich die Partei der Marktwirtschaft. Bei der CDU vermisse ich eine stärkere Hinwendung zur Marktwirtschaft, und bei der SPD bin ich weder mit ihrer Steuer- noch ihrer Mitbestimmungspolitik einverstanden.
Was erwarten Sie denn von der Bundestagswahl?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Angela Merkel die Wahl gewinnt. Sie ist eine bemerkenswerte Dame, die Deutschland relativ gut durch die vergangenen zwölf Jahre geführt hat. Es ist aber die Frage, mit wem sie dann koalieren kann. Mit dem Lautsprecher von der SPD wäre es schwierig.
Jenseits der Wahlen in Europa beobachtet die Wirtschaft gespannt den Brexit und die Entwicklungen in den USA.
Ich bin der Überzeugung, dass der Brexit Großbritannien großen Schaden zufügt. Es könnte sogar sein, dass darüber das Vereinigte Königreich zerbricht. Wenn Schottland und Nordirland ihre Unabhängigkeit erklären, bleibt ein relativ kleines unbedeutendes England mit Wales übrig. Und zu den USA: in Virginia Beach steht das größte Werk unserer Firmengruppe. Wir sind dort praktisch ein amerikanisches Unternehmen.
Und wie wirkt sich der Brexit auf Ihr Unternehmen aus?
Eigentlich kaum. In Großbritannien haben wir eine Vertriebsgesellschaft. Wenn das britische Pfund schwächer wird, würde uns das schon stören. Aber das ließe sich wohl kompensieren. Wir stehen zum britischen Markt.
Hitzige Diskussionen gibt es nicht nur über Trump und Brexit. Bei uns wird kräftig über die Bekämpfung des Feinstaubs gestritten. Ist die politische Debatte hysterisch geworden?
Da ist etwas dran. Ich halte die vom Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn geplanten Fahrverbote für eine fatale Politik.
Was hätte er denn machen sollen? Er muss doch dafür Sorge tragen, dass die Grenzwerte eingehalten werden.
Es gäbe da viele Möglichkeiten. Die zahlreichen Omnibusse, die in Stuttgart herumfahren, stinken weiter fröhlich vor sich hin. Daran könnte er etwas ändern. Und er müsste sich um den Hausbrand mit seinen veralteten Anlagen kümmern. Sich nur auf den Verkehr und den Dieselmotor zu fixieren, geht an den Tatsachen vorbei. Der sauberste und energieeffizienteste Motor, den es derzeit gibt, ist der Dieselmotor.
Die Autokäufer sind dennoch sehr verunsichert. Glauben Sie, dass das Zeitalter der Verbrennungsmotoren zu Ende geht?
Ich glaube, dass der Verbrennungsmotor irgendwann keine dominante Rolle mehr spielt. Aber bis wir die 60 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in Deutschland ersetzt haben, wird noch eine ganze Zeit vergehen.
Und wie viele Millionen Motorsägen müssten ersetzt werden?
Wir erfüllen schon seit längerer Zeit die strengen EU- und US-Abgasvorschriften. Und außerdem wächst der Anteil der Akku-Geräte an unserem Umsatz deutlich. Im Augenblick macht das etwa fünf Prozent unseres Umsatzes von über drei Milliarden Euro aus. In den nächsten drei bis vier Jahren könnte der Umsatzanteil der Akku-Geräte auf zehn bis 15 Prozent steigen.
In Stuttgart wird nicht nur über den Feinstaub diskutiert, sondern auch darüber, dass es erstmals eine Frau an der Spitze der IHK gibt. Wie finden Sie das?
Ich freue mich darüber. Und ich hoffe, dass sie einiges ändern wird. In Stuttgart haben wir beispielsweise immer noch den Sonderfall, dass es fünf Bezirkskammern gibt. Das steigert die Schlagkraft der Kammer nicht, es reduziert sie eher. Das sollte sie ändern.
Glauben Sie nicht, dass Sie mit dieser Forderung bei den Präsidenten der Bezirkskammern in ein Fettnäpfchen treten?
Das ist mir völlig egal.
Viele kritisieren ja, die Präsidentin komme von einer Einzelhandelsfirma, nicht von einem wichtigen Industrieunternehmen. Verliert das Amt an Bedeutung?
Das glaube ich nicht. Wenn sich Vertreter von größeren Maschinenbau- oder Automobilfirmen nicht für eine solche Position bewerben, dann müssen wir froh sein, dass wir überhaupt jemanden finden. Momentan ist es nicht vergnügungssteuerpflichtig, in der Kammer in Stuttgart Wirtschaftspolitik machen zu müssen. Die Feinde der Kammer sitzen ja auch in der Vollversammlung. Ich vermute, dass die meisten Kammerfeinde gar keine Beiträge zahlen, weil es Kleinstunternehmen sind.
Am 20. April soll Johannes Schmalzl als neuer Hauptgeschäftsführer gewählt werden. Was ist das für eine Wahl, wenn nur ein Kandidat antritt?
Das Präsidium hat sich für Herrn Schmalzl ausgesprochen. Und dort gab es eine Wahlmöglichkeit. Ich gehe davon aus, dass die Vollversammlung der IHK den neuen Hauptgeschäftsführer bestätigen wird. Schmalzl hat sehr gute Arbeit als Regierungspräsident in Stuttgart geleistet, und er hat sehr viele Verbindungen, die der Kammer nützen können. Wenn er nun auch etwas politischen Geist in die Wirtschaftskammer hineinbringt, ist das kein Fehler.
Herr Stihl, Sie werden heute 85 Jahre alt. Wie lange kommen Sie noch jeden Tag in die Arbeit?
Solange es geht. Ich habe mir da keine Frist gesetzt.
Haben Sie Angst davor, nicht mehr gebraucht zu werden?
Nein. Wenn man es geschafft hat, ein Unternehmen so aufzustellen, dass man nicht mehr gebraucht wird, hat man viel erreicht.