Eine neue Studie zeigt: Vielfältige soziale Anregungen helfen zur Vorbeugung von Demenz - auch bei bereits erkrankten Menschen.  

Stuttgart - Die vorbeugende Wirkung von kognitivem Training gegen Alzheimer-Demenz ist inzwischen gut belegt: gleich drei große Forschungsarbeiten lieferten dazu im vergangenen Jahr den Beweis. Aber wie steht es mit Patienten, deren geistiger Verfall zwar noch nicht schlimm ist, aber doch bereits spürbar eingesetzt hat? Profitieren sie von den als Anregung gedachten Maßnahmen? Auf diese Frage geben britische Demenzforscher nun eine Antwort. In der "Cochrane Library", einer Publikation des Medizinernetzwerks Cochrane, haben sie soeben eine Untersuchung veröffentlicht, die auf 15 Studien mit 718 Probanden basiert - und ein positives Ergebnis liefert.

 

In den Studien wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip eingeteilt, um die Wirkung der sogenannten kognitiven Stimulation zu ermitteln: 407 von ihnen erhielten es, die restlichen 311 nicht. Die Forscher bestätigen, dass die Therapiemaßnahme bei leichter bis mäßiger Demenz wirksam ist sowie Lebensqualität und Kommunikationsfähigkeit verbessert. "Die Vorteile erhöhen jeden medikamentösen Effekt", schreiben sie. Bis zu drei Monate nach Therapieende sei die Wirkung auf Gedächtnis und Denkvermögen nachweisbar gewesen.

"Man kann die Therapie eins zu eins oder in der Gruppe durchführen, aber nicht allein", erläutert Studienautor Bob Woods, Psychologe an der Universität Bangor. "Denn das soziale Element ist ein Schlüsselcharakteristikum." Sodann sei wichtig, die Aktivitäten breit zu fächern und individuell auszurichten: "Man kann miteinander Musik machen, sollte aber nicht üben im Sinne einer Musikgruppe. Man kann Kindheitserinnerungen austauschen, sollte sich aber nicht als reine Erinnerungsgruppe formieren." Auch Wortspiele seien hilfreich, aber eben nicht nur die. "Genau darin liegt der Unterschied zu kognitivem Training: Dort wird ja stets im Hinblick auf eine bestimmte Funktion geübt", sagt Woods. Davon sei die kognitive Stimulation aber frei.

"Das soziale Element ist ein Schlüsselcharakteristikum"

Die Wissenschaftler aus Wales und London untermauern mit ihrer Studie die Empfehlung des "World Alzheimer's Report" von 2011, der im Auftrag der Organisation Alzheimer Disease International erstellt wurde. In diesem Bericht wird jedem Patienten mit mäßiger Demenz geraten, an kognitiver Gruppen-Stimulationstherapie teilzunehmen. Zwar seien in den vergangenen Jahren vermehrt Zweifel an dieser Therapieform laut geworden, aber die neue Studie widerlege sie, sagen die Forscher.

Auch wenn die Autoren der Cochrane-Studie nicht ganz unbefangen sind - alle haben Handreichungen zu entsprechenden Demenz-Therapiemaßnahmen veröffentlicht, einer von ihnen bezieht zudem Honorare für Schulungen in den kognitiven Methoden -, so dürfte ihre Analyse vermutlich nicht ohne Einfluss auf die deutsche Demenzleitlinie bleiben, die aus dem Jahr 2009 stammt.

Dort tragen kognitive Methoden aufgrund einer bis dahin widersprüchlichen Studienlage nur den Empfehlungsgrad C und stehen damit auf einer Stufe mit Ergotherapie und körperlicher Aktivität. "Die Effekte von kognitiven Verfahren sind generell klein. Überdauernde Wirkung nach Beendigung der Therapien können nicht überzeugend gezeigt werden", heißt es in der Leitlinie. Auch fehle ein ausreichender Nachweis, ob diese Methoden auf Alltagsfunktionen und Verhalten wirken. In mehreren Studien, die für die Cochrane-Analyse berücksichtigt wurden, addierten sich jedoch die Vorteile der kognitiven Stimulation zu den Effekten der Medikamente, so dass die Autoren von einem zusätzlichen Effekt sprechen. Grundsätzlich profitiere aber jeder von der kognitiven Therapie, ob medikamentös behandelt oder nicht.

Methodische Schwächen der Studie

Leitlinienautor Frank Jessen, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Bonn, findet den Cochrane-Überblick "sehr interessant" und ist überzeugt, dass er die Bewertung der kognitiven Stimulation bei Demenz beeinflussen wird. Der Effekt sei allerdings nicht größer als bei Medikamenten, er entspreche in etwa der Wirkstärke von Antidementiva.

Auch wenn die Studie einige methodische Schwächen aufweise, auf die die Autoren selbst hinweisen - die berücksichtigten Studien sind von unterschiedlicher Qualität und in der Hälfte der Studien ist unklar, wie genau die Probanden ausgewählt wurden -, bewertet Jessen sie "trotzdem als eine vielversprechende Entwicklung". Nicht zuletzt sei dies "ein Ergebnis von den Bemühungen der letzten Jahre, die Qualität von nichtpharmakologischen Studien bei Demenz zu erhöhen".

Die 15 berücksichtigten Studien stammen aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Brasilien. Dort wurden sie an ganz unterschiedlichen Orten erhoben: in Kliniken, Schwesternhäusern, Tageszentren oder häuslicher Umgebung. Auch die Form der Betreuung variierte, es gab sowohl Gruppen- als auch Individualbetreuung. Interessanterweise hätten sich Familienangehörige, die die Therapie selbst übernommen hatten, nicht zusätzlich belastet oder gestresst gefühlt. Man benötige zur Ausübung derselben auch keine besondere Qualifikation, betonen die Forscher. Von Kosteneinsparungen ist daher auch die Rede, wenngleich es dafür noch keine ausreichenden Beweise gibt.

Ein aktiver Lebensstil, der fordert und fördert, hilft

Andreas Kruse, Leiter des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg, empfiehlt "grundsätzlich ein Förderkonzept, das kognitive und körperliche Trainingskomponenten wie Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit systematisch miteinander verbindet". Kognitives Training und kognitive Stimulation leisteten nachweislich einen Beitrag zur Verlangsamung des geistigen Abbaus. "Bereits ein aktiver Lebensstil, der fordert und fördert, erweist sich als hilfreich", sagt Kruse. Er legt zudem Wert darauf, dass die Förder- und Trainingsmaßnahmen möglichst auf den einzelnen Patienten zugeschnitten werden. Die Aktivitäten müssten von dem Betreffenden als sinnstiftend erlebt werden und Bezüge zur Biografie aufweisen.

Nicht für die Entstehung, wohl aber für den weiteren Verlauf der Alzheimer-Demenz seien die mittleren Lebensjahre wichtig, sagt Kruse: Denn in dem Maße, in dem es gelinge, geistige, alltagspraktische, sozialkommunikative und körperliche Kräfte aufzubauen und weiterzuentwickeln, könnten die neuronalen Verluste, die mit der späteren Krankheit einhergehen, in Teilen kompensiert werden. "Diese Schutzfunktion darf nicht unterschätzt werden."

Was den geistigen Verfall beschleunigt - und was ihn hemmt

Risikofaktoren Zu den Risiken, an Alzheimer-Demenz zu erkranken, zählen Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht in der Lebensmitte, Nikotin, Depression, geistige und körperliche Inaktivität sowie geringe Bildung. Auch Feinstaub kann geistigen Verfall im Alter beschleunigen. Im Fachblatt „Archives of Internal Medicine“ berichten Forscher von knapp 20.000 Krankenschwestern zwischen 70 und 81 Jahren, die in kognitiven Tests schlechter abschnitten, wenn sie lange und intensiv Ruß und Feinstaub ausgesetzt waren.

Vorbeugung Zu den Schutzfaktoren gegen Alzheimer-Demenz zählen Forscher die „Mittelmeerdiät“ mit Fisch und Olivenöl, Folsäuregaben, geringen bis mäßigen Alkohol-konsum, kognitives Training und Bewegung. Menschen, die noch im hohen Alter geistig fit waren, besitzen zudem meist eine höhere Widerstandskraft gegen Stress, Angst, Depression und psychische Trauma-belastung.