Wer lange genug schläft, stärkt neben dem Gehirn auch das Erinnerungsvermögen des Immunsystems an Krankheitserreger. Nicht nur Kinder sollten ausreichend schlafen, auch Erwachsene benötigen Tiefschlafphasen.

Stuttgart - Nicht nur kleine Kinder, die viel lernen, sollten ausreichend schlafen, sondern auch Erwachsene. Tiefschlaf stärkt bekanntermaßen das Erinnerungsvermögen des Gehirns, aber auch das des Immunsystems. Diesen Schluss zieht ein Forscherteam aus Lübeck, Tübingen und Utrecht nach der Auswertung von 119 Facharbeiten. Im Tiefschlaf gehen die am Tag erworbenen Daten über Krankheitskeime in den Langzeitspeicher des Abwehrsystems über, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Trends in Neurosciences“ darlegen. Ähnliches gelte für die Datenspeicher anderer Systeme im Körper.

 

Ein genaueres Verständnis über die Zusammenhänge zwischen den Schlafphasen und dem Abwehrsystem kann nach Expertenschätzung künftig zu optimalen Impfzeitpunkten führen. Bereits vor rund 100 Jahren haben Forscher gezeigt, dass Schlaf die Gedächtnisbildung im Gehirn fördert. Er ist zum Beispiel wichtig, um gelernte Vokabeln in den Langzeitspeicher des Gehirns zu überführen. Am besten sei der Lernerfolg direkt vor dem Zubettgehen, berichtete die deutsche Forscherin Rosa Heine (später Rosa Katz) in ihrer Dissertation „Über Wiedererkennen und rückwirkende Hemmung“ in Göttingen von 1914. Sie hatte Probanden sinnlose Silben lernen lassen. Ähnliches bestätigten die US-Psychologen John Jenkins und Karl Dallenbach in den 1920er Jahren: Ihre Probanden konnten zusammenhanglose Silben später besser wiedergeben, wenn sie nach dem Lernen schliefen, als wenn sie wach blieben.

Es sei zwar bekannt, dass Schlaf die Bildung des Langzeitgedächtnisses unterstützt, bestätigt der Leiter der aktuellen Untersuchung, Jan Born von der Universität Tübingen. „Doch die Idee, dass in allen Organsystemen die Bildung von Langzeiterinnerung durch Schlaf geschieht, ist aus unserer Sicht vollkommen neu.“ Dabei gibt es nach Meinung der Forscher ein gemeinsames Prinzip, nach dem der Aufbau von Erinnerung geschehe. Dieses Prinzip könne auch für den Fettgehalt des Körpers oder die Blutzuckerkonzentration gelten, die je nach Alter und äußeren Umständen neu angepasst werden müssten, sagt Mitautorin Tanja Lange von der Universität Lübeck. Schließlich könne schlechter Schlaf zu Gewichtszunahme und gestörter Zuckerverwertung führen.

Das Forscherteam zieht zunächst deutliche Parallelen zwischen der Bildung von Erinnerungen im Gehirn und der im Immunsystem. Eine besondere Rolle spiele in beiden Fällen der Tiefschlaf, bei dem die Hirnströme in besonders langsamen Wellen fließen. Erst neuere Arbeiten geben auch Hinweise auf die Bedeutung des Tiefschlafes für die Bildung der Abwehrkraft.

Diese Schlafphase fördere die Übertragung des Wissens über Krankheitserreger vom „Kurzzeitgedächtnis“ des Immunsystems in das „Langzeitgedächtnis“. Biologisch ausgedrückt: Kurzlebige Immunzellen, die frühzeitig Eindringlinge erkennen, präsentieren Teile der Erreger und überreichen so ihr Wissen an bestimmte langlebige T-Zellen. Dabei scheinen Hormone eine Rolle zu spielen, die während des Tiefschlafes frei werden, schreiben die Forscher. Die T-Zellen werden aktiv, wenn die gleichen Erreger später noch mal in den Körper gelangen. Sie sind als Gedächtnis des Abwehrsystems somit verantwortlich dafür, dass ein Mensch gegen einige Krankheiten immun ist, nachdem er sie durchgemacht hat, und dass eine Impfung wirkt.

Ähnlich funktioniert das Gehirn, wie das Team um Born erläutert: Auch hier werden während des Schlafes Ereignisse, die der Hippocampus am Tag aufgenommen hat, unter anderem auf einen Teil der Großhirnrinde übertragen, den Neocortex. Dort wird Wissen gespeichert, das der Mensch wieder abrufen und weitergeben kann. Sowohl beim Immunsystem als auch im Gehirn ist der Speicherplatz nach Angaben der Forscher begrenzt. Das Wissen müsse daher bei der Übertragung in den Langzeitspeicher noch zusammengefasst werden.

Ihre Theorie zum Immunsystem haben die Forscher vor allem aufgrund von fünf Impfstudien aufgestellt, die seit 2002 von ihnen oder anderen Teams veröffentlicht wurden. Dabei wurden Probanden geimpft und anschließend mehr oder weniger schlafen gelassen. Ergebnis der Blutuntersuchung: Der Tiefschlaf beeinflusste eindeutig die Zahl der Antikörper und der T-Zellen. Man solle daher nicht nur im Krankheitsfall ausreichend schlafen, um das Immunsystem zu stärken, sondern auch, wenn man eine Impfung bekommen hat – für die bessere Immunabwehr.