Viele Kliniken operieren mehr, als ihr Budget hergibt. Die Der Spitzenverband der Krankenkassen schlägt deshalb eine Art Operationen-Börse vor: Der Markt soll’s richten, frei nach dem Motto: auch mit Eingriffen lässt sich handeln.

Berlin - Wird in Deutschlands Krankenhäusern zu viel operiert? Der Spitzenverband der Krankenkassen meint ja und prüft deshalb ein neues Verfahren: An einer Art Börse sollen die Krankenhäuser Operationen kaufen und verkaufen können, die oberhalb einer zuvor festgelegten Menge liegen.

 

Früher war es einfach. Wurde jemand im Krankenhaus behandelt, rechnete die Klinik dies bei der Kasse nach der Zahl der Tage ab, die der Patient im Bett verbracht hatte. Dies führte dazu, dass die Patienten in Deutschland deutlich länger stationär betreut wurden als in anderen Ländern. Um die Verweildauer zu senken, wurden vor einigen Jahren Fallpauschalen eingeführt, die für jede Klinik gleich hoch sind und nicht darauf abstellen, wie lange jemand in der Klinik bleibt. In Baden-Württemberg etwa beträgt die Pauschale für eine Mandel-OP nach Angaben der Krankenhausgesellschaft 2132 Euro, für das Entfernen des Blinddarms 2331 Euro, für ein künstliches Hüftgelenk 6684 Euro und für eine Herzschrittmacher-Operation 11 865 Euro (die Zahlen beziehen sich auf komplikationslose Eingriffe).

Ist das Budget voll, gibt es 65 Prozent Abschlag

Jahr für Jahr verhandeln die Kliniken und die Krankenkassen die Menge an Eingriffen, die ein Krankenhaus vornehmen darf. Übersteigt ein Haus dieses Budget – operiert also mehr als vereinbart – führt dies zu einem Abschlag bei der Pauschale, der in der Regel 65 Prozent beträgt. Für eine Mandel-OP zahlt die Kasse dann nur 746 Euro. Trotz des Abschlags kommt es aber aus Sicht des Krankenkassenverbands zu medizinisch nicht nötigen Eingriffen, wobei er vor allem auf die vielen Knie- und Hüftgelenk-Operationen verweist. Was der Abschlag nicht schafft, soll nach dem Willen des Verbands künftig ein Handel erreichen: Bleibt eine Klinik unterhalb des Budgets, soll sie diese „Mindermenge“ an ein Haus verkaufen können, das mehr Eingriffe durchführt, als es in seinem Budget vorgesehen ist.

Diese „Börse“ wäre technisch wohl umzusetzen. Ob sie das vom Verband gewünschte Ziel erreicht, hängt aber davon ab, ob eine gekaufte „Mindermenge“ billiger ist als der Abschlag. Und das hängt wiederum vom Budget ab – also davon, wie viele Eingriffe die Kliniken mit ungeschmälerten Vergütung vornehmen können. Genau das ist ja der eigentliche Streitpunkt, der Kassen und Kliniken Jahr für Jahr in den Budgetverhandlungen beschäftigt: Wie viele Eingriffe sind medizinisch nötig? In dieser Frage müssten sich beide Seiten auch dann weiter auf eine Lösung verständigen, wenn es die „Börse“ gäbe. Die Südwest-AOK lehnt einen Handel denn auch strikt ab. „Das kommt der Schaffung eines neuen Bürokratiemonsters gleich und ändert an der Thematik unnötiger medizinischer Eingriffe überhaupt nichts“, kritisiert AOK-Chef Christopher Hermann.

Keine Lösung für fehlende Krankenhaus-Finanzierung

Die Börse änderte auch nichts an den Grundproblemen der deutschen Krankenhauslandschaft. Mancherorts, zum Beispiel im Ruhrgebiet, gibt es, salopp gesprochen, an jeder dritten Ecke eine Klinik, so dass viele Häuser versuchen, über die Menge an erbrachten Leistungen ihren Bestand zu sichern. Zudem kommen die Länder seit Jahren ihrer Verpflichtung nicht nach, die Investitionen im stationären Sektor (sei es die Sanierung eines Gebäudes, sei es der Kauf neuer Geräte) zu finanzieren. So entsteht eine Lücke, die Häuser zu schließen versuchen, indem sie an Drittanbieter auslagern (Wäscherei, Küche) oder eben die Menge medizinischer Leistungen steigern. Was bei Struktur und Investitionen grundlegend schiefläuft – so viel steht fest – lässt sich über die „Börse“ nicht beheben.