Kaum ein Beruf genießt in China so wenig Ansehen wie der des Arztes. Ohne finanzielle Zuwendungen der Patienten werden Mediziner selten tätig. Nun plant die Regierung eine Krankenversicherung – und will die Zahl der Doktoren in fünf Jahren verdoppeln.

Peking - Lange Wartezeiten, horrende Arzneimittelkosten – und wer endlich drankommt, muss dem Arzt häufig dann auch noch sogenannte Hongbaos zustecken, kleine rote Umschläge mit Bargeld, die auch Kindern zum chinesischen Neujahrsfest geschenkt werden. So sieht der Alltag in den meisten chinesischen Praxen und Krankenhäusern derzeit aus.

 

Während in den meisten europäischen Ländern unter allen Berufsgruppen Politiker, Journalisten und Versicherungsvertreter den schlechtesten Ruf haben, sind es in China Ärzte und medizinisches Personal. Immer wieder kommt es in der Volksrepublik zu gewaltsamen Übergriffen von frustrierten Patienten auf Mediziner. Kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren immer weniger junge Leute für den Arztberuf entschieden haben. „Der Ärztemangel gefährdet die soziale Stabilität, sagt Yu Dezhi, vom National Health Development Research Center (NHDRC) in Peking, einem staatlichen Institut für Gesundheitsforschung. Diesem Problem will die chinesische Führung nun Abhilfe schaffen.

In fünf Jahren soll es doppelt so viele Ärzte geben

Sie hat angekündigt, die Ärztedichte innerhalb der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. Bis 2020 sollen auf 1000 Menschen zwei statt bislang ein Allgemeinmediziner kommen. So sieht dieser Fünfjahresplan unter anderem eine gigantische Ausbildungsoffensive vor sowie eine Neuregelung der Ärztevergütung, die auch deutlich höhere staatlich festgelegte Löhne vorsieht. Was zudem zu einer allgemein deutlich besseren Versorgung beitragen soll: Sämtliche 1,3 Milliarden Chinesen sollen bis spätestens 2020 über eine staatliche Krankenversicherung verfügen.

Dabei war die Volksrepublik schon mal weiter. In den Jahren bis 1976 unter Mao war die städtische Bevölkerung über die jeweilige Arbeitseinheit in den Staatsbetrieben abgedeckt. Für die Menschen auf dem Land schickte Mao sogenannte „Barfuß-Doktoren“ – rudimentär ausgebildete Ärzte, die die Bauernfamilien mit dem Nötigsten versorgten. Zu Beginn der 1980er Jahre liberalisierte Chinas Führung im Zuge allgemeiner Wirtschaftsreformen auch das Gesundheitssystem. Diese marktwirtschaftlichen Reformen hatten verheerende Folgen: Wer kein staatlicher Angestellter mehr war, fiel aus der staatlichen Versorgung heraus.

Viele Ärzte sehen sich in die Korruption gedrängt

Mit dem Aufstieg von Chinas Privatsektor betraf das immer mehr Menschen. Zugleich hielten die staatlichen Gehälter der Ärzte nicht mit dem allgemein wachsenden Lohnniveau mit. Viele Ärzte sahen sich gezwungen, neue Einnahmequellen zu finden. Fortan verschrieben sie überteuerte und in vielen Fällen auch unnötige Medikamente und Behandlungen – was die Kosten für die Patienten in die Höhe trieb. Einige Krankenhäuser generierten bis zu 90 Prozent der Einnahmen aus diesen fragwürdigen Verschreibungen. Auf dem Land brach in vielen Regionen die medizinische Versorgung zusammen, weil Ärzte in die Städte abwanderten, wo sie bei vermögenden Privatpatienten mehr verdienen konnten.

Mit dieser Praxis räumt Chinas Führung nun auf. Ihre Kalkulation: sobald jeder Bürger mit einer Krankenversicherung ausgestattet ist, nehmen Kliniken und Praxen jeden Patienten auf. Vieles ist auch schon geschehen. Mussten vor 15 Jahren rund 75 Prozent der Menschen für ihre Gesundheitskosten selbst aufkommen, liegt der Anteil heute bei unter fünf Prozent. Damit hat China innerhalb weniger Jahre fast eine Milliarde Menschen krankenversichert. Quantitativ handelt es sich dabei um die größte Sozialreform der Menschheitsgeschichte. Das zeigt sich auch bei den staatlichen Gesundheitsausgaben: Die Summe hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf heute rund 400 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Sie sollen bis 2020 die Billionengrenze überschreiten.

Milliardenchancen für die weltweiteGesundheitsindustrie

„Der weltweiten Gesundheitsindustrie winken Milliardengeschäfte“, vermutet Gesundheitsexperte Yu. Ein komplett staatlich finanziertes Gesundheitssystem lehnt die chinesische Regierung aber ab. „Chinas Ziel ist die 80-Prozent-Marke“, sagt Yu. Alle Chinesen sollen sich darauf verlassen können, dass rund 80 Prozent der anfallenden Krankenkosten von der staatlichen Versicherung getragen wird. Würde der Staat alle Kosten übernehmen, würden die Leute ständig zum Arzt laufen, sagt Yu.