Gedränge vor der Essensausgabe - und schon kann es krachen. Die Nachrichten von Gewalt in Flüchtlingsheimen häufen sich. Die Polizei ist fast täglich im Einsatz. Eine Spurensuche in Meßstetten.

Meßstetten - In der Flüchtlingsunterkunft ist eine wilde Schlacht ausgebrochen. Tennisballgroße weiße Geschosse fliegen durch die Luft. Im Eifer des Gefechts funkeln die Augen der Kinder fast noch heller als die Schneeflocken, die gerade vom Himmel fallen und das Gelände der Landeserstaufnahme für Flüchtlinge (Lea) in Meßstetten (Zollernalbkreis) unter eine sanfte Puderdecke legen. Viele Asylsuchende sehen zum ersten Mal die weißen Flocken. Kinder bauen Schneemänner oder machen eine Schneeballschlacht.

 

So friedlich wie an diesem Tag war es in der Erstaufnahme in Meßstetten in der Vergangenheit nicht immer. Erst kürzlich geriet die Einrichtung nach einer heftigen Massenschlägerei unter bis zu 300 Asylbewerbern in die Schlagzeilen. Es gab viele Leichtverletzte, auch das Sicherheitspersonal wurde angegriffen. Ein Großaufgebot an Polizisten musste anrücken, um die Lage unter Kontrolle zu bringen, nicht zum ersten Mal.

Meßstetten ist fast überall. Die Nachrichten von Gewalt in Flüchtlingsheimen häufen sich, sie stammen mal aus Ellwangen, Tübingen oder Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). In größeren Asylbewerberunterkünften ist die Polizei beinahe täglich, denn immer wieder gibt es dort Gewalt. Die zunehmende Kriminalität in den Häusern, Turnhallen, Baracken und Zelten der Schutzsuchenden sei eine logische Folge der steigenden Flüchtlingszahlen, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Integrationsministeriums.

Nichtige Anlässe

„Wenn die Polizei aufmarschiert, ist oft sofort Ruhe“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart. Von Januar bis Ende Oktober in diesem Jahr zählte die Polizei rund 4000 Fälle in Asylunterkünften, so das Innenministerium. Darunter fallen auch deutsche Täter, etwa Drogendealer. In 940 Fällen handelte es sich um vorsätzlich leichte Körperverletzung, in rund 500 Fällen um gefährliche oder schwere Körperverletzung. 237 Brennpunkteinsätze hatten die Beamten allein im Oktober in Flüchtlingsunterkünften.

„Es sind meist nichtige Anlässe, die große Schlägereien und Tumulte auslösen“, sagt Frank Maier, der Leiter der Lea in Meßstetten: „Wenn der Sicherheitsdienst bei kleineren Streitereien nicht zur Stelle ist, kann die Lage eskalieren.“ Die Polizeiberichte ähneln sich: Mal drängelt einer vor der Essensausgabe, der Toilette oder an der Dusche. Andere schimpfen, schubsen, Freunde oder Landsleute greifen ein. Plötzlich werfen Menschen mit Steinen, prügeln aufeinander ein - auch mit Eisenstangen, Holzlatten, Stühlen oder Tischen.

Enge, Stress, Frustration und lange Wartezeiten im Asylverfahren: Axel Leukhardt, Sozialarbeiter der Lea in Meßstetten sagt, aus welchen gründen es immer wieder zu gewaltsamen Konflikten kommt. Der 51-Jährige betreut Flüchtlinge in der überbelegten Unterkunft. Er löst Probleme - und soll für eine gute Stimmung sorgen. Doch bei Gewaltausbrüchen ist auch er machtlos: „Bei so vielen Menschen, genügt es, wenn eine Handvoll ein erhöhtes Aggressionspotential hat“, so Leukhardt, „das hat man nicht in der Hand.“

Keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen

Lea-Leiter Maier führt die Eskalationen vor allem auf die Überbelegung der Einrichtungen zurück. In Meßstetten mussten wegen der Platznot Betten in Gebetszimmern und Aufenthaltsräumen aufgestellt werden. „Die Bewohner haben keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, das birgt Aggressionspotential.“ Derzeit seien rund 3000 Flüchtlinge in der Lea untergebracht - überwiegend aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan. Gedacht war die ehemalige Kaserne für 1000.

In der Einrichtung verteilt hängen Plakate an den Wänden, die Bilder von eingeschlagenen Fensterscheiben zeigen. „Menschen, die Gewalt ausüben, haben in Deutschland keine Chance“, steht darauf in Handschrift auf Deutsch und Arabisch geschrieben: „So macht ihr allen Flüchtlingen das Leben in Deutschland schwer“.

Drangvolle Enge

Die Stimmung in Meßstetten bleibt angespannt. „Nach dem jüngsten Vorfall haben wir die Sorge, dass sich die Lage in den Wintermonaten noch mehr zuspitzt“, sagt Maier. Die Kälte außen sorge für drangvolle Enge drinnen. Die Lea hat die Security in den vergangenen Monaten kräftig aufgestockt. 40 Wachmänner sollen die Lage tagsüber im Griff behalten, nachts sind es 30 Wachmänner.

„Natürlich habe ich Angst“, sagt der 25 Jahre alte Flüchtling Karar Alfele aus dem Irak. Er sei schließlich nach Deutschland geflohen, um der Gewalt zu entkommen. Die Schlägereien im Camp bereiten ihm Sorgen. „Das wirft ein schlechtes Licht auf alle Flüchtlinge“, sagt er. Gemeinsam mit etwa 100 anderen Flüchtlingen hat er neulich an einer Kundgebung in der Lea teilgenommen - und sich im Namen aller Flüchtlinge für die Ausschreitungen entschuldigt.