Zwei Mädchen haben im Tübinger Stadtteil Waldhäuser-Ost eine 13-Jährige angegriffen und getreten. Die Tat wurde gefilmt, im Internet mehr als 12.000 Mal geteilt und diskutiert. Die Polizei warnt vor den Folgen einer solchen Verbreitung.

Tübingen - Ein Smartphone-Video, auf dem zwei Mädchen eine Schülerin verprügeln, zieht Kreise im Internet. Das hat in der Schule des Opfers, der Geschwister Scholl Schule (GSS) in Tübingen, viele Gespräche und einen Einsatz mehrer Schulpsychologen ausgelöst. Mahnende Worte kommen auch von der Polizei: „Viele fragen sich erst nach der Verbreitung des Videos, was es für die dargestellten Schülerinnen bedeutet, wenn diese Szene von immer mehr Leuten angeschaut wird“, sagt eine Sprecherin. Voyeurismus könne ein möglicher Grund sein. Die Polizei rief dazu auf, das Video nicht weiter zu verbreiten und die Identität der Beteiligten nicht öffentlich zu machen. Die Chance dazu ist gering. Mehr als 12 000 Mal soll das Video geteilt und somit weiterverbreitet worden sein. Inzwischen wird es von Adressen aus dem Ausland ins Netz gestellt.

 

Die Tat selbst hatte sich schon am Montag gegen 16 Uhr außerhalb des Schulgeländes, auf einem Spielplatz im Tübinger Stadtteil Waldhäuser-Ost zugetragen. Ein ganzer Pulk junger Mädchen, alle 13 und 14 Jahre alt, ist auf dem Video zu sehen. Eine 13-Jährige setzt sich auf eine Bank. Plötzlich wird ihr die Tasche weggerissen, sie wird von anderen Mädchen getreten und geschlagen, auf den Kopf und ins Gesicht – auch als sie schon vor der Bank am Boden liegt. Es bleibt letztlich bei leichten Verletzungen. Der Grund für den Angriff soll nichtig gewesen sein, sagt die Polizei. Medienberichte, wonach Eifersucht im Spiel war, wurden auch am Freitag nicht bestätigt. 1:48 Minuten dauert das Video, auf dem die Täterinnen und das Opfer deutlich zu sehen sind. Die am Vorfall beteiligten Mädchen wollen sich nicht äußern.

Die Täterinnen sind der Polize rasch bekannt geworden

Noch am Montag erstatteten die Eltern der betroffenen 13-Jährigen Anzeige, fast gleichzeitig erschien die Filmsequenz in Facebook. Die Identität der Täterinnen ist der Polizei sehr rasch bekannt geworden. Ermittelt wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung. Mit 13 wird ein junger Mensch strafrechtlich als unmündig eingestuft, mit 14 kann das Jugendstrafrecht angewandt werden. Nun machen Gewaltaufrufe und Hasstiraden gegen die Täterinnen auf Facebook die Runde. Eines der Mädchen postete auf einer Internetseite: „Mischt euch da nicht ein. Wir haben uns entschuldigt. Mehr können wir nicht machen. Unsere Strafe sind Sozialstunden“. Und in einem anderen Kommentar sagt sie: „Nervt mich nicht. Ich habe Scheiße gebaut, ok. Ich bereue es auch und es tut mir leid. Aber denkt ihr wirklich, dass alles besser wird, wenn ihr uns fertig macht ?“

Die Polizei prüft die teils sehr barschen Kommentare, Beleidigungen, Drohungen und mögliche Gewaltaufrufe auf ihre strafrechtliche Relevanz. Bundesweit zeigen Medien Interesse an dem Fall. Kamerateams stellten sich vor der Schule auf, sodass im Kollegium diskutiert wurden, wie man die Schüler „unaufgeregt aus der Schule kriegt“. Rasch war auch von einer „Gang“ die Rede. Die Polizei verwendet diesen Begriff nicht. Im Gegenteil: Damit werde suggeriert, es handle sich um eine Horde von Mädchen, die regelmäßig durch die Stadt zieht und andere Schüler verprügelt oder weitere Straftaten begeht. Das sei falsch. Dessen ungeachtet hat die Polizei in Tübingen ihre Kontrollen verstärkt. Beamte gingen vermehrt Streife an der Schule des Opfers.

Schulpsychologen beraten das Lehrerkollegium

Den Schulpsychologen ginge es nun darum, den Schülern die Angst vor Übergriffen zu nehmen, sagt der für die Schulabteilung zuständige Pressesprecher des Tübinger Regierungspräsidiums. „Wir wollen den angstfreien Schulablauf sicherstellen“.

Am Donnerstag haben alle 1600 Eltern und Lehrer der GSS einen mit Hilfe von Psychologen verfassten Brief der Schulleitung erhalten. „Bitte reden Sie mit Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn, wenn diese beunruhigt sind“, heißt es darin, „Beteiligen Sie sich an der Deeskalation der entstandenen Emotionen. Schützen Sie Ihre Kinder mental vor dem Konsum solcher Videos oder verletzender Chats und/oder helfen Sie ihnen, die entstandenen Gefühle zu verarbeiten.“ Verschiedene Anlaufstellen werden angeboten, „wenn Sie für die Bewältigung starker Ängste Hilfe brauchen.“

Eine schulpsychologische Beratungsstelle hat eine Hotline für Eltern angeboten. Direkte Gespräche hielte die Stelle aber für sinnvoller. Am Freitagmorgen setzten sich die Psychologen mit den Lehrern zusammen, um den Fall zu besprechen. Die Schulpsychologen boten auch an, selbst in die Klassen zu gehen. Das hielten die Lehrer aber nicht mehr für nötig.

Die Reaktionen der Jugendlichen im Netz

Nicht nur die Medien reagieren auf das Video von einer Prügelattacke auf eine 13-jährige Tübingerin, auch unter den Jugendlichen ist das ein großes Thema. „Wir reden in der Pause viel darüber, jeder hat das Video gesehen“, sagt eine Schülerin. Die meisten seien schockiert, besonders darüber, dass Mädchen so etwas machen. Das gilt nicht für die Verbreitung: „Die, die das Video teilen, tun das nicht, weil sie es gut finden, sie wollen zur Selbstjustiz aufrufen“ erklärt die Schülerin. Auf Facebook wird darüber breit diskutiert – wo das Video zuvor verbreitet wurde, wird nun in Kommentaren das Geschehene zu verarbeiten.

Die Community ist sich nicht einig darüber, ob die Verbreitung eines solchen Videos eher den Täterinnen oder dem Opfer schadet. Davon abgesehen ist es nicht einfach ein solches Video zu löschen. Zunächst einmal muss das bei Facebook gemeldet werden. Der Ex-Tübinger Filmemacher Alexander Schnapper veröffentlichte in seinem Blog eine Anleitung dafür. Mit dem Melden des Beitrages ist das Video jedoch noch nicht aus dem Netz entfernt. Facebooknutzer beschweren sich auch über die Antwort des Internetportals auf eine solche Meldung: „Wir haben das von dir wegen der Darstellung von drastischer Gewalt gemeldete Video geprüft und festgestellt, dass es nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt.“ Man darf also nicht hoffen, dass das Video in nächster Zeit gelöscht wird. Darüber hinaus fungiert Facebook mittlerweile auch als Plattform, auf der die Nutzer gegen die Täterinnen mobil machen. Es finden sich Posts, die zur Selbstjustiz aufrufen, Hunderte von Menschen formulieren teilweise heftige Beleidigungen oder erschreckende Forderungen zur Bestrafung der Jugendlichen.

Der Vorfall wirkt auch in einem anderen Forum nach: Dort muss die Täterin den Vorwürfen anderer Jugendlicher Rede und Antwort stehen. Sie beteuert ihre Reue, doch das nehmen ihr nicht alle ab. Der Täterin scheint es bewusst zu sein, dass alle dieses Video gesehen haben. „Dass wir unseren Ruf in Tübingen kaputt gemacht haben ist uns klar“, schreibt sie auf ihrer eigenen Seite in diesem Portal. Die Hintergründe der Tat lässt sie im Dunkeln.