Die Stadt hat 62 Millionen Euro an Gewerbsteuereinnahmen zu viel verbucht. Die Summe muss sie in diesem Jahr zurückzahlen.

Sindelfingen - Eigentlich hatten die Verantwortlichen im Sindelfinger Rathaus ein geruhsames Osterfest geplant – nun kommt aber alles ganz anders. Über die Feiertage wartet eine Menge Arbeit auf sie, denn offenbar völlig überraschend ging am vergangenen Montag ein Bescheid der Finanzbehörde ein, wonach die Stadt in diesem Jahr 62 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen muss. Sämtliche Vorhaben, bei denen die Stadt Geld investieren wollte, kommen nun auf den Prüfstand. Die Verabschiedung des Haushalts für dieses Jahr ist vorläufig verschoben.

 

24 Millionen Euro Zinsen

„Damit haben wir überhaupt nicht rechnen können“, sagte der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer, „das ist eine dramatische Entwicklung und ein heftiger Schlag für uns.“ Es habe erst am vergangenen Freitag „ein erstes Signal gegeben“, dass die Stadt mit einer Gewerbesteuerrückzahlung rechnen müsse. Näheres erklärte der Rathauschef nicht. Kurze Zeit davor hatte die Verwaltung einen anders lautenden Bescheid erhalten, wonach die Kommune für das vergangene Jahr mit einer Gewerbesteuernachzahlung von zehn Millionen Euro rechnen dürfe. Die Gewerbesteuereinnahme wäre damit bis Jahresende auf 70 Millionen Euro gestiegen.

Doch nun bleiben davon nur noch acht Millionen Euro übrig, denn im Gegenzug müssen laut dem Ersten Bürgermeister Christian Gangl für die Jahre 2002 und 2003 insgesamt 38 Millionen Euro zurückbezahlt werden, hinzu kommen noch 24 Millionen Euro Zinsen. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende 2013 entschieden, dass Aktienverluste nachträglich steuerlich und damit gewinnmindernd geltend gemacht werden können, was der Bundesfinanzhof im Jahr darauf bestätigte. Dies tangiere letztlich die von den Unternehmen zu zahlende Gewerbesteuer, die in den Jahren 2002 und 2003 angefallen sei, so Gangl.

Ein Schuldenberg droht

„Manche Firmen haben gegen die damaligen Bescheide Widerspruch eingelegt und bekommen ihr Geld jetzt zurück“, erläuterte der Sindelfinger Kämmerer Wolfgang Pflumm. „Wir haben davon überhaupt nichts gewusst“, betonte Vöhringer. Nach dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts habe es nun noch eine Weile gedauert, bis die Finanzbehörden reagiert und Sindelfingen jetzt mit der Rückzahlungsaufforderung konfrontiert hätten.

Immerhin plante die Stadt bis zum Ende des Jahres mit Rücklagen von 51,5 Millionen Euro. „Wir können die Rückzahlung leisten“, stellte Pflumm fest. Aus heutiger Sicht seien die für die künftigen Jahre geplanten Etats damit aber nicht mehr genehmigungsfähig, unterstrich Gangl. Im Jahr 2018 hätte die Stadt nach der jetzigen Finanzplanung mit dieser finanziellen Belastung 90,5 Millionen Euro Schulden. „Damit wären wir in einer schwindelerregenden Höhe angelangt“, sagte der OB. Es müssten Kredite in einer nicht akzeptablen Höhe aufgenommen werden.

Sämtliche Ausgaben werden geprüft

Momentan stehen laut Gangl bei der Stadt überhaupt keine Verbindlichkeiten zu Buche. „Wir haben trotzdem mit sofortiger Wirkung eine Haushaltssperre erlassen“, berichtete Vöhringer. Sämtliche Etatberatungen seien nun unterbrochen worden. Die Vorgehensweise sei mit dem Regierungspräsidium in Stuttgart abgestimmt. Laut dem OB werden nun keine Aufträge mehr für Bauvorhaben oder andere Projekte vergeben. Sämtliche geplanten Ausgaben lägen vorerst auf Eis, so Vöhringer weiter. Dies betreffe zum Beispiel auch Straßensanierungen oder die Renovierung von Schulgebäuden.

Auch nach anderen möglichen Einsparungen wird gesucht. Zudem prüfen die Finanzplaner nun die Gebühren von städtischen Einrichtungen. „Unsere finanzielle Lage bringt auch Belastungen für die Bevölkerung mit sich“, kündigte der Rathauschef an und fügte hinzu: „Wenn wir als Stadt in den kommenden Jahren handlungsfähig bleiben wollen, müssen wir bald einige Einschnitte vornehmen.“ Konkreter wollte er aber nicht werden.

Enorm schwankende Gewerbesteuereinnahmen

An ein Auf und Ab der Gewerbesteuereinnahmen, die in Sindelfingen hauptsächlich von der Geschäftslage des Daimler-Konzerns abhängt, ist die Stadt schon gewöhnt. Im Spitzenjahr 1988 kamen 140 Millionen Euro in die Kasse, in den Krisenjahren 2008/2009 schlug sich auf der Habenseite gar nichts nieder. Das Gegenteil war der Fall: Es mussten Gewerbesteuereinnahmen zurückgezahlt werden. „So schlimm wie damals ist es jetzt nicht“, sagte Gangl. Doch zeige der Vorgang wieder einmal, wie schwierig es sei zu planen.

Dass dieses Problem landauf, landab auch noch andere Kommunen haben könnten, vermutet der Sindelfinger Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle (Die Linke), der Kritik am Landesfinanzminister Nils Schmid (SPD) übte. Schmid habe die Städte und Gemeinden nicht über die geänderte Rechtsprechung informiert und gewarnt: „Dem Finanzministerium sind die Urteile doch auch schon lange bekannt.“ Der Böblinger Stadtsprecher Wolfgang Pfeiffer etwa ließ allerdings verlauten, dass Böblingen in diesem Jahr unter dem Strich weiterhin mit einem Gewerbesteueraufkommen von 52 Millionen Euro plane. Auch in Herrenberg und in Leonberg ist von einer möglichen Rückzahlung bis jetzt nichts bekannt. In der Gemeinde Weissach, die enorme Gewerbesteuereinnahmen durch die Firma Porsche hat, war am Mittwoch kein Verantwortlicher zu erreichen.