Der Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink sollte ein Symbol in der Diskussion über das Sexualstrafrecht sein. Ist das Model vor vier Jahren vergewaltigt worden? Das Amtsgericht Tiergarten sagt Nein und verurteilt sie wegen falscher Verdächtigung.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Berlin - Am Ende bricht es aus ihr heraus. „Ich wollte gar nicht berühmt werden“, sagt Gina-Lisa Lohfink unter Tränen. Sie habe auch keinen Sex und keine Filme gewollt. Ihr emotionaler Ausbruch über ihr Leben und die auch seelischen Verletzungen, die sie ihrem Empfinden nach wohl nicht nur in der Nacht vom 2. auf 3. Juni 2012 erlitten hat, mündet in der Mahnung an Mädchen und junge Frauen vor dem Leben als Prominente. Sie habe zwar einen großen Busen und künstlich verlängerte Haare, aber dennoch sei sie doch ein ganz normaler Mensch, sagt sie flehentlich. „Ich habe ja auch eine Ausbildung gemacht, ich war Arzthelferin. Macht eine Ausbildung, lernt einen Beruf“, schluchzt sie. Das Partyleben sei nicht toll. „Ich überlege auch, ob ich das Abitur nachmache und studieren werde.“ Und dass sie den Prozess nur durchstehe für Frauen, denen es wie ihr ergangen sei. Sie habe mit diesem Fall nicht in der Presse sein wollen. „Das ist keine gute Presse“, sagt sie aufgewühlt.

 

Es ist der vierte Verhandlungstag in dem Prozess gegen Lohfink wegen Verleumdung. In besagter Juni-Nacht vor mehr als vier Jahren haben zwei Männer mit ihr Sexvideos gedreht und die kurz darauf auch veröffentlicht. Dafür sind beide per Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dafür, dass sie gesagt hat, die Sexspiele zu dritt hätten gegen ihren Willen stattgefunden, steht Lohfink vor Gericht. Sie hatte den Strafbefehl nicht angenommen.

Im Gericht sagt Lohfink fast nichts, meist lässt sie ihren Anwalt sprechen

Die Richterin am Amtsgericht Tiergarten gibt ihr nach den Plädoyers das Wort. Zu hören sind ein paar der wenigen Sätze, die Lohfink im Gerichtssaal sagt. In manchen Medien ist sie gesprächiger. Im Gericht lässt sie ihre Anwälte sprechen. Mit vor sich verschränkten Armen sitzt sie zurückgelehnt da und verfolgt den Prozess, fast als würde sie frieren. Lediglich als der medizinische Gutachter am letzten Verhandlungstag aussagt, beugt sie sich am Anfang seiner Worte konzentriert vor und schaut auf den Mann, der ihr gegenübersitzt. Aber er hat keine guten Nachrichten. Sie lehnt sich wieder zurück.

Der Mediziner soll zu der Wirkung von K.-o.-Tropfen aussagen. Sie könne sich das Entstehen der Filme nur durch den Einsatz von K.-o.-Tropfen erklären, hatte Lohfink bei einer Vernehmung erklärt. Aber der Gutachter winkt ab. Die Bilder lassen nicht den Schluss zu, dass sie unter Einfluss einer solchen Substanz gestanden habe. Sie sei auf den Beweisbildern bei Bewusstsein, reagiere normal. Außerdem verhinderten K.-o.-Tropfen jede Erinnerung. Lohfink aber hat später davon gesprochen, sich schemenhaft wieder daran zu erinnern, festgehalten worden zu sein.

Richterin: „Es gibt keine Anzeichen, dass sich Frau Lohfink nicht wohlgefühlt hat“

Der Berliner Prozess ist einer, dem viele Symbolbedeutung zusprachen. Er fiel in die Zeit, in der die Politik mit Blick auf die Ereignisse der Kölner Silvesternacht nach einer schon länger anhaltenden Diskussion das Sexualrecht verschärfte. Das Partygirl Gina-Lisa Lohfink, bis dato nicht als Feminismus-Ikone aufgefallen, betritt die Bühne zur richtigen Zeit. Das „Hör auf!“, das sie in den Videos sagt, ist für manchen die Vorwegnahme des „Nein heißt Nein“, der aufgeheizten Diskussion über den Vergewaltigungsparagrafen. Die Richterin und die Staatsanwältin sind überzeugt, es beziehe sich nur auf das Mitfilmen. „Es gibt keine Anzeichen, dass sich Frau Lohfink nicht wohlgefühlt hat“, sagt die Richterin.

Und so bilden sich in diesem Fall um Sex, Lügen und Videos, seltsame bis absurde Allianzen. Der Bundesinnenminister Heiko Maas (SPD) meldet sich zu Wort und dringt auf die schnelle Umsetzung der Änderung des Sexualstrafrechts. Lohfink und ihr Anwalt laden Maas gar zur Teilnahme am Prozess in Berlin ein. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) betont, dass ein Nein ein Nein sei. Unter dem Hashtag #TeamGinaLisa versammeln sich feministische Aktivistinnen, die befürchten, dass von diesem Fall ein für Vergewaltigungsopfer verheerendes Signal ausgehen könnte. Nämlich das, dass man ihnen nicht glaubt. Lohfinks Unterstützerinnen fragen, ob das Aussehen und das Auftreten eines mutmaßlichen Opfers Einfluss haben dürfe auf seine Glaubwürdigkeit vor Gericht. An einem der Verhandlungstage entblößt eine Femen-Aktivistin ihre Brüste und wird von Justizbediensteten aus dem Saal gebracht.

Anwalt: Der Fall ist jener, der die Verschärfung des Sexualstrafrechts bewirkt hat

Als die Richterin am Montag den Schuldspruch verkündet und Lohfink wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 250 Euro verurteilt, greift die 29-Jährige zu Handtasche und Brille und verlässt fast unter Tränen die Anklagebank. Die Urteilsbegründung hört nur ihr Anwalt. Er erklärt den Fall zu dem Fall, der die Verschärfung des Sexualstrafrechts bewirkt habe, und hatte Freispruch für seine Mandantin gefordert. Die Staatsanwältin hatte eine Geldstrafe von 80 Tagesätzen zu 300 Euro gefordert. Das ist fast identisch mit dem Strafmaß.

In der Pause zwischen den Plädoyers und dem Urteil wird noch einmal deutlich, welche Emotionen der Fall geweckt hat. „Macker gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, schafft sie ab“, rufen Lohfinks Unterstützer vor dem Eingang zum Gericht. Bis auf einen Mann besteht das gute Dutzend ausschließlich aus Frauen. Ein paar Meter weiter erklärt einer der beiden Männer, die den Sex mit dem Partygirl per Handy gefilmt haben, Lohfink lüge. Der Ton von Sebastian P. ist aggressiv. Er hat den Prozesstag von der Zuschauertribüne aus erlebt. Er werde nach dem Urteil selbst Strafanzeige stellen, sagt er. Eine junge Frau, die vor drei Jahren ein Jahr mit ihm verlobt war, beschreibt ihn als gewalttätig. Die Verteidigung hatte am letzten Verhandlungstag noch einmal vier Zeuginnen benannt, von denen zwei vernommen werden. Unruhig tigert Sebastian P. im Warteraum für die Prozessbesucher hin und her. Seit die Sache in der Welt sei, bekomme er keinen Job mehr. Er spricht von seinen vielen Facebookfans und fragt, warum diesmal nur so wenig Unterstützer für Lohfink da seien.

Am Ende äußert die Richterin eine Bemerkung Richtung Politik

Vermutlich gibt es in dem Prozess mehr Verlierer als Gewinner, denn vielleicht gibt es auch im Leben eines abgebrühten Promimodels Momente, in denen es glaubt, jetzt ginge es wirklich um Gefühle und so etwas wie Liebe, dass vielleicht nicht immer nur alles Show und diesmal sie selbst gemeint sei. Doch Lohfink, die Hessin aus Heppenheim, ist nicht irgendwer. Sie schaffte es in der RTL-Show zwar nicht „Germany’s Next Topmodel“ zu werden, baute auf ihrer Prominenz jedoch eine Karriere in den Privatsendern auf. Das weckt bei möglichen Sexualpartnern Begehrlichkeiten. Ein Video mit Lohfink, zumal eines mit Sexszenen, hat Marktwert.

Ist es das Gefühl, bitter enttäuscht und um das Recht am eigenen Bild geprellt worden zu sein, das Gina-Lisa Lohfink Anzeige erheben lässt? Ein Medienanwalt zeigt in ihrem Namen erst die Verbreitung der Filme an. Später folgt die Vergewaltigungsanzeige. Denn auf den Filmen ist mehrmals ein „Hör auf!“ und „Nein, nein!“ von Lohfink zu hören. Das bezieht sich nach Überzeugung der Ermittler nicht auf die sexuellen Handlungen, von denen eine LKA-Expertin später sagt, die beiden seien sehr rüde mit Lohfink umgegangen. „Das war kein Blümchensex, sondern harter Sex“, sagt übereinstimmend auch erst die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer und dann die Richterin in ihrer Urteilsbegründung.

Eine Bemerkung – wohl an die Politik – setzt die Richterin an das Ende ihrer Urteilsbegründung. Sie sei erstaunt, wie viele sich geäußert hätten, die weder den Fall noch die Akte genau gekannt hatten. Ob Lohfink wirklich als Teilnehmerin ins RTL-Dschungelcamp geht, will ihr Anwalt nicht kommentieren. Dass sie eine Stiftung für Vergewaltigungsopfer gründen will, hat Lohfink bereits angekündigt.