Immer mehr Information fällt immer schneller an – die Zivilisation wird zur Zuvielisation. Eine der Quellen der Flut führt in ein Wiener Café.

Wien - Ein Kaffeehaus in Wien hat zugesperrt, das 1847 erstmals eröffnete Café Griensteidl. Diese Geschäftsaufgabe berührt auf interessante Weise auch die Urgründe der digitalen Welt. Erstmals schloss das damalige Künstleretablissement im Jahre 1897 seine Pforten, als das Haus abgerissen wurde, in dem es beherbergt war. 1990, fast 100 Jahre später, wurde das Café am neu bebauten alten Ort wieder eröffnet – und mit ihm eine bemerkenswerte Tradition.

 

Im Internet gibt es eine neue Qualität der Informationszusammenführung: die Aggregation. Ursprünglich bedeutete der etwas unschöne Begriff so viel wie „aufhäufen“, „vereinigen“ oder „beigesellen“, was sich ein bisschen nach Orgien anhört und nicht weiter verwunderlich ist, da es von den alten Römern herkommt, aber gar nicht so gemeint ist.

Die Zivilisation wird zur Zuvielisation

Mit dem Internet hat heute jeder von uns eine Nachrichtenlage, wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit nur Führungspersonal und Redaktionen mit teuren Agenturtickern zur Verfügung stand. Wie bei der „Tagesschau“ noch handverlesen oder wie bei Google News algorithmisch aus dem Weltnachrichtenstrom gefischt und sortiert. Mit Wikileaks und Cryptome gibt es inzwischen sogar so etwas wie Bürgergeheimdienste dazu.

Immer mehr Information fällt mittlerweile immer schneller an, die Zivilisation wird zur Zuvielisation. Je kompakter und intelligenter jemand Informationen aufbereitet, desto wertvoller wird sein Beitrag nun. Der durch das Online-Aggregieren entstehende neue Aggregatzustand ist ein digitales Destillat.

Hieß es früher: Im Wein liegt die Wahrheit, so suchen wir heute, was man so Wirklichkeit nennt in diesem alkoholfreien Datenschnaps. Für mich als Österreicher ist die Idee der Aggregation im Übrigen nichts Neues. Seit je weiß ich etwa die gut sortierten Zeitungstische in Kaffeehäusern zu schätzen, auf denen die Tages- und Wochenpresse ausliegt. Auch das Prinzip der Suchmaschine ist im Kaffeehaus lange schon vorweggenommen worden.

Eine Frage der angemessenen Haltung

Hier kommt das Café Griensteidl ins Spiel, denn im Grunde genommen ist Google eine österreichische Erfindung. Bis zuletzt fand sich in der Speisekarte des Kaffeehauses der Hinweis, man könne sich mit jeder Art von Sachfrage an das Bedienungspersonal wenden. Der Kellner brachte dann den entsprechenden Band einer Brockhaus-Enzyklopädie an den Tisch (genauer gesagt gab es in einer Glasvitrine eine Brockhaus-Ausgabe aus der Zeit der Jahrhundertwende sowie eine moderne Ausgabe). Die Antwortzeiten bei einer Anfrage lagen zwar etwas höher als bei einer elektronischen Suchmaschine, aber der Österreicher hat es ohnehin lieber ein wenig langsamer, statt sich von hektischen Echtzeit-Zumutungen in die Gegenwart einsperren zu lassen. Mit dem Ende des Café Griensteidl steht Google nun ganz ohne Konkurrenz da.

Es ist eine Frage der angemessenen Haltung. Und die glänzt in Österreich auch im digitalen Zeitalter mit dem, was irrtümlich Gemütlichkeit genannt wird und in Wahrheit eine Spätfolge der Anstrengung beim Wiederaufbau der zerbombten Alpen nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Dass der Österreicher August Musger die Zeitlupe erfunden hat, verwundert angesichts dieser Innovationsumgebung ebenso wenig wie die Tatsache, dass es ausgerechnet einem österreichischen Physiker, Professor Anton Zeilinger, als Erstem gelungen ist, ein Teilchen zu beamen, also die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man sich lichtschnell fortbewegen kann, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen.