Der Tübinger Theologe Hermann Häring will ideologische Glaubensfronten aufbrechen. Er wünscht sich eine zukunfts- und weltoffene Kirche, die sich wieder an Jesus von Nazareth erinnert.

Fellbach - Hermann Häring ist ein streitbarer Katholik. Am Mittwoch, 19.30 Uhr, spricht er im Rahmen der Ökumenischen Woche im Franziskusheim.

 
Herr Häring, was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Fellbach denken?
Im November 1970 hielt ich in der katholischen Kirchengemeinde einen meiner ersten Vorträge zur Frage: Kann die Kirche irren? Für Katholiken war das ein sehr heißes Eisen, nachdem Hans Küng eine Diskussion über die Unfehlbarkeit des Papstes vom Zaun gebrochen hatte.
Sie haben viele Jahre in Nordrhein-West-falen gewohnt und sind jetzt nach Tübingen zurückgekehrt. Wie fühlt sich das an?
Ich komme aus der Pforzheimer Gegend, also aus Baden. Ein Schwabe erklärte mir vor kurzem, das sei keine Schande. In Tübingen habe ich studiert, geheiratet, und wir haben nach 25 Jahren dort noch viele Freunde. Tübingen ist noch immer eine offene, diskussionsfreudige und lebendige Stadt.
Die Ökumene ist seit Jahren Ihr Thema. Wie kamen Sie dazu?
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat das Thema entdeckt. Hans Küng wurde mein Lehrer; er hatte schon 1957 gezeigt, dass die Rechtfertigungsfrage keine Kirchenspaltung rechtfertigt. Je mehr ich über den Sinn der Konfessionen nachdachte, umso mehr lösten sich die pathetisch vorgetragenen Trennungsgründe ins Nichts auf. Gegenseitige Recht-haberei macht unsere Kirchen unglaubwürdig. Sie ist wesentlicher Grund für den dramatischen Bedeutungsverlust in Westeuropa. Meine Kritik richtet sich gegen meine eigene Kirche, die die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkennt. Mich treibt die Vision einer zukunfts- und weltoffenen Kirche, die den Menschen beisteht und ihre Botschaft verständlich machen kann. Mir geht es nicht nur um kirchliche, sondern um politische und gesellschaftliche Dimensionen.
Was könnte aus Ihrer Sicht ein gemeinsames Zeugnis der christlichen Kirchen sein?
Statt einen hochkomplizierten Christusglauben zu verkünden, sollten sich die Kirchen endlich wieder an Jesus von Nazareth selbst erinnern, dessen Impulse das Christentum ursprünglich groß gemacht haben. Dazu gehören seine visionäre Leidenschaft für eine weltweite Gerechtigkeit und sein vorbehaltloser Einsatz für eine in Frieden versöhnte Menschheit, wofür er sein Leben riskierte. Nichts anderes hat er mit seiner frohen Botschaft gemeint. Es ist die Vision, dass Blinde sehen, Lahme gehen und Aussätzige rein werden. In der Zeit eines tiefgreifenden kulturellen Umbruchs und einer beispiellosen Globalisierung müssen die christlichen Kirchen ihre wirklichkeitsfernen Welterklärungen beiseite lassen.
Wie sehen Sie die Rolle von Papst Franziskus in Bezug auf die Ökumene?
Franziskus ist für die katholische Kirche und die christliche Botschaft ein Glücksfall. Er verwirklicht ein menschenfreundliches Christentum, bricht viele Verkrustungen auf und bringt die großen Menschheits-fragen auf den Punkt: Wie bändigen wir den Kapitalismus, wie bewahren wir die Erde und wie brechen wir ideologische Fronten auf? So zeigt er auch gegenüber anderen Kirchen ein wahrhaft freundliches Gesicht. Aber er kennt die offizielle ökumenische Szene nicht genug. Bis jetzt hat er noch keine bahnbrechenden Schritte gesetzt. Viele hatten gehofft, er werde wenigstens Wege zum gemeinsamen Abendmahl öffnen. Vorläufig hat er noch die falschen Berater; vielleicht braucht er eine vernünftige Beraterin.
Wie sehr hat Sie die zehnjährige wissenschaftliche Mitarbeit am Institut für ökumenische Forschung unter Hans Küng geprägt?
Diese Zeit hat mein Denken über Glauben und Kirchen entscheidend beeinflusst. Es sind viele ökumenische Ideen entstanden, die mich noch heute bestimmen. Zudem haben wir den Christusglauben „von unten“, auf Grund historischer Grundlagen und rational einsichtiger Argumentationen so neu durchformuliert, dass ihn Zeitgenossen verstehen können. Das ist im Buch „Christ sein“ nachzulesen, das kürzlich neu aufgelegt wurde. Drittens hat Küng im Team mit seinen Mitarbeitern die Frage nach Gott aufgegriffen und sie mit der neuzeitlichen Philosophie konfrontiert.
Was ist das von Küng initiierte „Projekt Weltethos“, bei dem Sie mitarbeiten?
Aufgeworfen wurde die Grundfrage dieses Projekts 1993 von den Organisatoren des internationalen und interreligiösen Weltkongresses (Parlament der Weltreligionen) in Chicago: Gibt es zwischen den Weltreligionen einen Grundkonsens zu unverrückbaren Maßstäben, die in einer Epoche der Weltpolitik, Weltwirtschaft und Welttechnologie, also einer beginnenden Weltzivilisation, gelten? Das Ergebnis überraschte alle: Ja, alle Weltreligionen kennen grundlegende Weisungen: Lebensschutz und Gewaltverbot, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, gegenseitige Treue und Zuverlässigkeit. Zudem wirken die Weltreligionen als zentrale moralische Agenturen verschiedenster Kulturräume. Hans Küng war vom Erfolg seines Buches „Projekt Weltethos“ so überrascht, dass er mit einem kleinen Team das Projekt weiter verfolgte, das mittlerweile von einer Stiftung weitergetragen wird.
2013 kritisierten Sie den früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Wie beurteilen Sie diese Angelegenheit und das Verhalten der Kirche aus heutiger Sicht?
Mich hat nicht diese autoritäre und verschwenderische Person an sich interessiert. Sein Verhalten und seine Unfähigkeit zur Selbstkritik waren für mich das Symptom einer höchst autoritären, selbstverliebten und anmaßenden Institution, die solche Personen nach oben spült. Warum schrillten nicht schon vorher alle Alarmglocken? Warum brauchte es so lange, bis sich die Mitbischöfe diesem unerträglichen Missstand stellten? Warum hörte niemand auf die vielen Seelsorger des Bistums Limburg, die Jahre zuvor schon Alarm schlugen, weil alles kollegiale Vertrauen zerstört war? In Sachen Limburg hat man einiges dazu gelernt. Doch noch immer agieren viele deutsche Bischöfe selbstgefällig und sind immer noch von der Angst getrieben, eine kritische Öffentlichkeit wolle ihnen schaden. Es wäre besser, sie würden Papst Franziskus zur Seite stehen und den reaktionären Kreisen in Rom Paroli bieten. Erst vor kurzem sprach Franziskus von „bösartigen Widerständen“.
Wenn Sie eine Botschaft an die christliche Welt senden könnten, wie würde die lauten?
Den Christen würde ich sagen: Wir blicken auf eine großartige, aber auch zwiespältige Geschichte zurück, in deren Netzen wir uns verhängt haben. Überwindet eure geheimen oder offenen Überlegenheitskomplexe, gleich, ob sie in rassistischer, fremdenfeindlicher oder nationalistischer Form daherkommen. Wir Christen sind keine besseren Menschen und andere Religionen wissen ebenfalls von dem unendlichen Geheimnis zu berichten. Den Kirchen würde ich sagen: Macht euch klar, wie zeitbedingt eure Glaubensüberzeugungen sind und wie viel Rechthaberei darin steckt. Macht also einen Schnitt und nehmt euch Jesus zum Maß, der den Kirchen und ihren Dogmen immer schon um Meilen voraus war ist. Allen reformwilligen Gemeinden würde ich sagen: Übernehmt die Menschenfreundlichkeit Jesu und lasst euch leiten von seiner visionären Leidenschaft für eine in Gerechtigkeit und Frieden versöhnten Welt.

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