Im Deutschen wird häufig allein die männliche Form verwendet mit dem Argument, Frauen seien mitgemeint. Außerdem gefährde es die Lesbarkeit von Texten, beide Geschlechter zu nennen. Beides ist wissenschaftlich widerlegt.

Stuttgart - Als die Universität Leipzig im vergangenen Sommer beschloss, ihre Grundordnung im generischen Femininum zu verfassen, also anstatt männlicher ausschließlich weibliche Bezeichnungen wie „Professorinnen“ und „Studentinnen“ zu verwenden, schlug das hohe Wogen. Der Beschluss wurde heftig kritisiert und verspottet. Dabei ist das Konzept in unserem Alltag üblich – wenn auch umgekehrt: häufig verwenden wir nur die männliche Form und weisen darauf hin, dass Frauen „mitgemeint“ seien.

 

Doch genau das sind sie nicht, sagt Evelyn Ferstl, Professorin für Kognitionswissenschaft an der Universität Freiburg, bei einem Vortrag an der Uni Stuttgart: „Beim generischen Maskulinum stellt man sich eine männliche Gruppe vor.“ Evelyn Ferstl arbeitet im Bereich Genderforschung, eine Forschungsrichtung, die sich mit dem Verhältnis zwischen Geschlecht auf der einen sowie Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft auf der anderen Seite beschäftigt. Auch Sprache beeinflusst die Gleichberechtigung der Geschlechter, so ihr Ansatz. Und wenn Frauen nicht explizit genannt werden, werden sie auch nicht mitgedacht.

Sie belegt ihre These mit zahlreichen Studien, angefangen mit der experimentellen Psychologie rund um die Jahrtausendwende. Egal ob Probandinnen und Probanden eine Geschichte über Vegetarier zu Ende erzählen oder ihre Lieblingssportler nennen sollten: sobald diese in der Aufgabenstellung als „VegetarierInnen“ oder „SportlerInnen“ bezeichnet wurden, stieg der Frauenanteil in den Erzählungen signifikant an. Wurde die Aufgabenstellung hingegen im Maskulinum formuliert, tauchten in den Antworten deutlich mehr Männer auf – übrigens ohne dass die Testpersonen wussten, dass es sich um eine Studie zum Thema Geschlechter in der Sprache handelt. Das sogenannte Binnen-I hat in den vergangenen Jahren an Beliebtheit verloren, trägt aber offenbar zu einer geschlechtergerechteren Sprache bei.

„Weibliche Chirurgen“ verwirren das Gehirn

Auch implizite Maße wie das Verfolgen der Augenbewegungen beim Lesen (Eyetracking) oder die Messung von Hirnaktivitäten bestätigen die These, dass Frauen bei der männlichen Form nicht mitgemeint sind: so blieben Testpersonen länger an Textpassagen hängen, in denen beispielsweise von einem „weiblichen Chirurgen“ die Rede war. „Männliche Chirurgen“ hingegen lösten keine Irritationen aus. Die männliche Berufsbezeichnung wird also auch als männlich verstanden. „Das Gehirn hat eine Verarbeitungsschwierigkeit, wenn Stereotypen verletzt werden“, sagt die Kognitionswissenschaftlerin. Dass sich diese konsequent auch in den verschiedenen Experimenten zeigte, weist darauf hin, dass Frauen nicht mitgemeint sind.

Das ergab auch eine noch nicht veröffentlichte Studie von Ferstl selbst, bei der sie 18 Testpersonen Sätze vorlegte wie „Jack saw the mechanic, because she looked out of the window“ und deren Hirnaktivitäten mittels Magnetresonanztomografie (MRT) beobachtete. Dieses Beispiel von einem Mechaniker oder einer Mechanikerin, der/die aus dem Fenster schaut und dabei von Jack gesehen wird, lässt sich schwierig ins Deutsche übersetzen, da „the mechanic“ im Englischen vom Geschlecht her unbestimmt ist. Obwohl der Satz also grammatikalisch korrekt ist, sah Ferstl im MRT ähnliche Aktivierungen des Gehirns wie bei objektiv falschen Sätzen wie: „Die Frau war beliebt, weil er attraktiv war.“ Ein Zeichen, dass Frauen nicht mitgemeint sind, sagt Ferstl: „Eine Verletzung der stereotypen Geschlechtszuordnung löst ähnliche Aktivierungen aus wie Sätze mit Pronomenfehler.“ Offenbar ist in unserem Unterbewusstsein „the mechanic“ ein Mann. Zu verstehen, dass es sich hier um eine Frau handelt, irritiert das Gehirn.

Ähnlich ergeht es uns im Deutschen, wenn von Vegetariern oder Sportlern die Rede ist: Das Gehirn geht von Männern aus. Auch das Argument vieler Frauen, sie fühlten sich nicht ausgeschlossen, hält den Untersuchungen nicht stand. Selbst wenn diese versicherten, sich mitgemeint zu fühlen, zeigten sie im MRT die oben beschriebenen Gehirnaktivierungen.

Sprache wandelt sich immer

Was also spricht gegen eine geschlechtergerechtere Sprache, fragt Ferstl. „Unsere Sprache beeinflusst schließlich unser Denken.“ Viele wehren sich dagegen mit dem Argument, Sprache lasse sich nicht so leicht verändern. „Das ist natürlich Unsinn“, sagt Ferstl, „Sprache wandelt sich immer.“ Schließlich sei „googeln“ ebenso wie „simsen“ inzwischen Teil der deutschen Sprache, und das „Fräulein“ glücklicherweise abgeschafft.

Und auch das letzte Argument gegen eine geschlechtergerechtere Sprache nimmt Ferstl ihren Kritikern: „Es ist nicht nachgewiesen, dass die Lesbarkeit von Texten gefährdet wird.“ Im Gegenteil: In einer Studie bekamen Testpersonen verschiedene Versionen eines Artikels vorgelegt – im generischen Maskulinum, mit Binnen-I und mit jeweils beiden Geschlechternennungen. Die Lesbarkeit wurde in allen drei Fällen gleich gut eingestuft.

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