Unter dramatischen Umständen einigt sich die grün-rote Landesregierung auf ein Behindertengesetz. Seit Wochen wurde darum gerungen – und am Ende wäre es fast gescheitert.

Stuttgart - Am Montag noch, keine 24 Stunden vor der Kabinettssitzung und der anschließenden Regierungspressekonferenz, musste Katrin Altpeters (SPD) Gesetz zur Behindertengleichstellung als tot gelten. Das Staatsministerium hatte nach Angaben aus Koalitionskreisen den Regierungsfraktionen eine geänderte Fassung vorgelegt, die mit dem federführenden Sozialministerium entgegen allen Gepflogenheiten nicht abgestimmt war. Ein in dieser Form doch erstaunlicher Affront.

 

Es ging um einen seit Wochen zwischen dem Staatsministerium und dem Sozialressort schwelenden Streitpunkt: die Hauptamtlichkeit der Behindertenbeauftragten, die künftig in allen Stadt- und Landkreisen zu installieren sind. Für Ministerin Altpeter stellte dies ein Kernelement ihres Gesetzentwurfs dar. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte das gesamte Vorhaben schon einmal in letzter Sekunde gestoppt, ehe er ins Kabinett kommen konnte. Der Regierungschef versteht sich seit jeher als „leidenschaftlicher Anhänger des Subsidiaritätsprinzips“ . Deshalb sah er nicht ein, weshalb das Land die Kommunen in der Frage der Behindertenbeauftragten in die Hauptamtlichkeit dirigieren sollte. Kretschmanns Veto weckte erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit, wurde es doch als Retourkutsche wahrgenommen für seine Niederlage im Konflikt mit Finanzminister Nils Schmid um die Nettonullverschuldung 2016.

Verstörende E-Mail

Im Streit über die Hauptamtlichkeit richtete die Koalition eine interministerielle Arbeitsgruppe ein, die sich in der vergangenen Woche auf ein Zwei-Säulen-Modell verständigte, das sich am Ende auch durchsetzte. Die Stadt- und Landkreise müssen Behindertenbeauftragte bestellen, können aber selbst entscheiden, ob sie diese ehrenamtlich beschäftigen oder hauptamtlich. Im ersten Fall erhalten sie 3000 Euro monatlich vom Land, im zweiten Fall – auf Antrag – 6000 Euro monatlich. 2,8 Millionen Euro stellt das Land dafür bereit.

Am Montagmittag stellte Claus Eiselstein, Abteilungsleiter im Staatsministerium, dies indes wieder in Frage. In einer Mail ans Sozialressort teilte er mit, der Ministerpräsident akzeptiere keine unterschiedliche Bezahlung der ehren- und hauptamtlichen Beauftragten; der Gesetzentwurf werde in der vom Staatsministerium vorgelegten Form von den Regierungsfraktionen gebilligt.

Wurde er aber nicht, zumindest nicht von SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, als er auf die vom Staatsministerium vorgenommenen Änderungen aufmerksam wurde. Für Sozialministerin Altpeter war daraufhin klar: So kommt der Gesetzentwurf nicht ins Kabinett. Ihre Drohung, die Sache scheitern zu lassen, zeitigte dann aber Wirkung.

„Ein Machtkampf war das nicht“

In einem anderen Punkt aber setzte sich das Staatsministerium durch. Ursprünglich sah Altpeters Gesetzentwurf eine Soll-Verpflichtung vor, die jeder Gemeinde aufgab, Behindertenbeauftragte zu bestellen. Dies, so warnte das Innenministerium in einer der StZ vorliegenden Stellungnahme vom 9. Mai, greife „in nicht zu rechtfertigender Weise in das verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltungsrecht ein“. Auf die Vorgänge angesprochen, zeigten Altpeter und Kretschmann traute Eintracht: „Ein Machtkampf war das nicht, es ging um eine Sachfrage.“