In der Göppinger Eichert-Klinik sind eine Reihe gefährlicher medizinischer Fehler passiert. Entsprechende Unterlagen sind der StZ zugespielt worden.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Göppingen - Die Aufzeichnungen lesen sich wie das Manuskript für einen schlechten Film: Es geht um Patienten, die nach einer Herzoperation nicht intensivmedizinisch versorgt, sondern auf eine normale Station gebracht werden. Es geht um wochenlang vergessene Untersuchungen, um falsche Diagnosen und um andere medizinische Fehleinschätzungen. So soll etwa bei einer Frau, die in der Göppinger Klinik am Eichert auf der Chirurgie lag, versäumt worden sein, den Kreatininwert in ihrem Blut zu bestimmen, ehe und während sie mit einem Antibiotikum behandelt wurde. Die falsche Medikation soll zu einem Nierenversagen geführt haben. Trotz täglicher Dialysebehandlung starb die Frau einige Wochen später.

 

In einem anderen Fall, so heißt es, sei ein Mann nach einer Bypassoperation auf die Normalstation verlegt worden, weil es angeblich auf Intensiv keine freien Betten gegeben habe. Es sei zu Nachblutungen und einem Kreislaufversagen gekommen, was tags darauf, das – allerdings vergebliche – Eingreifen eines Notfallteams erforderlich gemacht habe.

Zugegebenermaßen befanden sich beide Patienten schon zuvor in einem kritischen Gesundheitszustand und waren älter als 70 Jahre. Dass sie und mit ihnen einige weitere Verstorbene noch leben könnten, davon ist Frank T. (Name geändert) indes fest überzeugt. Der Intensivpfleger hält die Zustände, „die an unserer Klinik inzwischen herrschen, für unerträglich und hochproblematisch“.

Frank T.: „Die Spitze des Eisbergs“

Er bestätigt damit den Inhalt von Auszügen des bundesweiten Critical Incident Reporting System (CIRS), eines Berichtssystems für kritische Ereignisse in der Medizin, die der Stuttgarter Zeitung zugespielt worden sind. Jeder Fall ist im CIRS zwar anonym hinterlegt. „Wer vor Ort arbeitet, weiß aber natürlich, welcher Sachverhalt sich im eigenen Haus abgespielt hat“, meint Frank T., als er sich die Unterlagen ansieht. Der Pfleger nennt die dokumentierten Vorkommnisse die Spitze des Eisbergs. So weisen denn auch weitere Protokolle darauf hin, dass auf der Intensivstation Keime verschleppt und Hygienemaßnahmen nicht beachtet worden sind oder technische Geräte ohne Einweisung bedient oder in Betrieb genommen wurden.

Frank T. ist davon überzeugt, „dass die Sparmaßnahmen und die daraus resultierende Personalpolitik für diese unhaltbaren Zustände verantwortlich sind“. Ein Blick auf die der StZ ebenfalls vorliegenden Dienstpläne macht deutlich, was der Intensivpfleger meint: Seit dem vergangenen März sind im Normalfall nur noch vier Pflegekräfte für jeweils zwölf zu betreuende Intensivbetten zuständig. Dabei empfiehlt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin maximal zwei Patienten pro Pflegekraft. „Außerdem existiert, nicht zuletzt wegen zahlreicher Kündigungen, der Normalfall ohnehin so gut wie gar nicht mehr“, betont Frank T. So trieben der ständige Personalmangel sowie Zeitdruck und Überlastung die Krankheitsquote bei allen in der Pflege Beschäftigten unablässig nach oben.

Eine unabhängige Expertin für Medizin und Pflege aus dem Kreis Göppingen ist der gleichen Ansicht. Nachdem sie die Fälle aus dem CIRS unter die Lupe genommen hat, fällt ihr Urteil eindeutig aus: „Egal, auf welchen Fehler man sein Augenmerk auch richtet, ganz gleich also, ob es um die Gefährdung von Patienten, um Hygiene- oder Organisationsmängel geht, die Gründe dafür sind bundesweit immer dieselben: Zeitmangel aufgrund von Personalmangel, eine permanente Überlastung, die zur Folge hat, dass Arbeitsabläufe schlicht vergessen werden, und Stress, der zu Unaufmerksamkeiten führt.“ Sie ist sich sicher, dass die verordnete Sparpolitik, trotz des übermäßigen Engagements der qualifizierten Belegschaft, inzwischen solche Ausmaße angenommen hat, „dass dem Schlendrian Tür und Tor geöffnet sind, was zwangsläufig zu den beschriebenen Pannen führt“.

Mehrere Vorstöße in Richtung Klinikleitung

Frank T. geht sogar fest davon aus, „dass solche Geschichten weiter zunehmen werden“. So sei es längst normal, dass auf der Intensivstation ein halbes Dutzend Nachtschichten am Stück gefahren würden, dass Kollegen, direkt aus dem Krankenstand kommend, gleich wieder nächtelang gefordert seien, dass dringend benötigte Pflegekräfte zeitweise in anderen Bereichen der Intensivstation aushelfen müssten oder dass Personal im Intensivbereich eingesetzt werde, das nicht die entsprechende fachliche Qualifikation dafür habe.

„Interne Kritik, Vorstöße in Richtung Klinikleitung und Verbesserungsvorschläge, nicht nur von Seiten der Pflegekräfte, sondern auch von Seiten der Ärzte, hat es immer wieder gegeben“, erklärt Frank T. Erfolgreich sei man damit allerdings nicht gewesen. Es habe immer nur geheißen, dass andere das auch schaffen würden. Diesem Vorwurf widerspricht Professor Jörg Martin, der Geschäftsführer der Alb Fils Kliniken und damit auch der Klinik am Eichert, entschieden: „Wir reden über jeden Fall, der in das CIRS eingestellt wird, mit den entsprechenden Leuten und suchen nach Wegen, damit sich der gleiche Fehler im Haus nicht wiederholt“, versichert er.

Jörg Martin: „Auf Intensiv wird am wenigsten gespart“

Dass man eine aktive Fehlerkultur pflege, zeige sich allein daran, dass es an der Eichertklinik mehr als 80 CIRS-Einträge im Jahr gebe. „Würden wir das System nur als Alibi einsetzen, würden es die Mitarbeiter nicht mehr nutzen“, ergänzt er. Fehler passierten überall, wo gearbeitet werde, betont Martin. Dennoch sei und bleibe die Sicherheit der Patienten das höchste Gut eines Krankenhauses. „Deshalb wird in Kernbereichen, wie etwa auf der Intensivstation, auch wesentlich weniger eingespart als an anderen Stellen“, fügt der Klinikchef hinzu. Rund 80 000 Euro habe man hier im vergangenen Jahr allein für Honorarkräfte ausgegeben, weil sich der Mangel an Fachpflegepersonal nicht anders auffangen lasse.

Dass der Stellenabbau die Arbeit an der Klinik am Eichert insgesamt nicht leichter macht, räumt Martin unumwunden ein. Doch gerade im Bereich der Pflege und bei den Ärzten sei weit weniger gespart worden als in anderen Bereichen. Engpässe, wie sie Frank T. angesprochen hat, kämen dennoch immer wieder einmal vor. „Daher müssen wir auch die Intensivbettenzahl tagesaktuell anpassen, je nachdem, was uns an Leuten zur Verfügung steht“, berichtet Martin, der offen zugibt, „dass den Mitarbeitern, gerade in diesem Bereich, einiges zugemutet wird“. Verständnis dafür, dass Interna nach außen gegeben werden, habe er aber dennoch nicht.

Was ist CIR?

Berichtssystem
Einrichtungen des Gesundheitswesens aus ganz Deutschland können kritische medizinische Ereignisse in das CIR-System (CIRS) einstellen. Über das Netzwerk haben alle Beteiligten Zugriff auf die Fälle. Für strafrechtliche Ermittlungen kann das System jedoch nicht herangezogen werden, da der Datenserver in der Schweiz steht.

Anonym
Die Beiträge werden anonym in das CIRS eingetragen. Da aber die besagten Vorfälle an der jeweiligen Klinik meist bekannt sind, wird das Berichtssystem oft als Qualitätsmanagement-Instrument benutzt. Dies wird sogar von Versicherungen anerkannt, die deshalb auf einen Teil ihrer Prämien verzichten.