Nach der witterungsbedingten Absage des Festzugs – der ersten seit dreieinhalb Jahrzehnten – entwickelt sich in Göppingen eine improvisierte Dynamik. Am Nachmittag wurde beim Maientag dann fast wie geplant weitergefeiert.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Göppingen - Auf diesen Eintrag in die Göppinger Geschichtsbücher hätten die Verantwortlichen der Stadt nur allzu gerne verzichtet: Nach 35 Jahren musste der große Maientagsfestumzug am vergangenen Samstag erstmals wieder abgesagt werden. Gefeiert wurde trotzdem – zunächst ganz spontan auf dem Marktplatz sowie in der Poststraße und später dann in und rund um die EWS-Arena.

 

Frühaufsteiger Begonnen hatte alles wie immer. Denn während die potenziellen Festzugsteilnehmer und -besucher noch bange Blicke in den wolkenverhangenen Himmel schickten, betätigten sich vier Musikanten am Samstag kurz vor 7 Uhr als echte Frühaufsteiger. Carolin Feuerbacher, Thilo Pollak und Gerhard Tastl vom städtischen Blasorchester sowie Sebastian Gruner von der Jugendkapelle kletterten auf den Rathausturm, um den Maientag mit zwei Euphonien und zwei Trompeten feierlich einzublasen – wenig später wurde der Umzug dann abgeblasen.

Vernunftentscheidung Als der Regen immer stärker wurde, brach im Göppinger Rathaus verzweifelte Hektik aus. Die einen klickten im Internet die einschlägigen Wetterkarten durch, die anderen telefonierten sich die Ohren heiß – so gut es die Verbindungspanne der Deutschen Telekom eben zuließ. Die Maientagskommission trat zusammen und traf, wie es Oberbürgermeister Guido Till später ausdrückte, „die schlimmste Entscheidung, die sie seit Jahrzehnten treffen musste“. Der Umzug fällt aus! Dass sei zwar alles andere als schön, aber vernünftig, weil man den Kindern und den Musikkapellen, die sich schon vor 9 Uhr aufstellen würden, nicht zumuten könne, klatschnass zu werden, erklärte der traurige OB den Ehrengästen und später via Lautsprecher den mehreren hundert Menschen, die sich draußen auf dem Marktplatz bereits versammelt hatten.

Prognose Ausschlaggebend für die Absage, war letztlich eine Wetterdienst-Prognose, dass es – nach einer kurzen trockenen Phase – gegen 10.15 Uhr wieder zu schütten beginnen sollte. Doch die Meteorologen irrten sich gewaltig. Erst gegen 11 Uhr begann es leicht zu tröpfeln. Der Umzug hätte also fast wie gewohnt stattfinden können, was die Sache nur noch schlimmer machte. Die Blitzrecherche von Ulrich Drechsel, dem Leiter des städtischen Fachbereichs Schulen und Sport, brachte dann auch noch die historische Dimension der Entscheidung zu Tage: 1981 fiel der Umzug, nachdem sich viele Kapellen und Gruppen bereits positioniert hatten, doch noch aus. 1965 wurde er letztmals bereits im Vorfeld abgesagt. 1953 und 1970 musste er verschoben werden. 1975 fand er in verkürzter Form statt.

Improvisation Ganz ohne Blasmusik und Festmarsch musste das teils verärgerte Publikum aber dennoch nicht ausharren. Der Musikverein Hohenstaufen und seine Partnerkapelle aus dem schweizerischen Hägendorf-Ricken hielt zunächst ein improvisiertes Konzert auf dem Marktplatz ab, ehe es, nach Tills Maientagsrede und in Begleitung sowie unter dem lautstarken Beifall der Besucher spontan die Poststraße entlang ging. Mit einem weiteren Platzkonzert auf Höhe der Bleichstraße endete der kürzeste Maientagsumzug aller Zeiten.

Fast-Normalität Das traditionelle Festgeschehen am Nachmittag rund um und in der EWS-Arena konnte dann – fast – wie geplant stattfinden. Lange Gesichter gab es, weil der Rotary-Club seine Kletterbäume nicht aufgestellt hatte. Doch auch hier galt das Motto „Safety first“, denn nasse Holzstämme könnten zum einen oder anderen ungewollten Absturz führen. Die Karussells auf dem Rummel drehten sich indes wie gewohnt, der Luftballonwettbewerb konnte gestartet werden und die jungen und sportlichen Vorführungen von rund 750 Schülerinnen und Schülern in der Halle fanden vor vollem Haus statt. Selbst der OB fand dabei sein Lachen wieder: „Am Morgen war unsere Absage des Festzugs noch richtig. Im Rückblick nicht, aber nach einer solchen Entscheidung ist man eben immer schlauer“, sagte er achselzuckend.

Finale Die vier Göppinger „Nationalfeiertage“ enden wie üblich am Montag. Auf dem Rummelplatz geht es bis Mitternacht nochmals rund, wobei den Nachmittag über ermäßigte Preise gelten. Im Festzelt feiern zunächst die Senioren, ehe wohlmeinende Chefs ihre Beschäftigten zum After-Work-Bierchen bitten können. Und wie schon am Samstagfrüh geht es zum nächtlichen Maientagsfinale wieder hoch hinaus: beim Musikfeuerwerk vom Dach der EWS-Arena – sofern denn der Himmel nicht wieder seine Schleusen öffnen sollte.