In aufrüttelnden Bildern zeigt das Göppinger Museum für Psychiatriegeschichte, das Museele, das Leiden der psychisch Kranken in Westafrika. Sie werden versteckt und gefesselt.

Göppingen – - Dem ergreifenden Schicksal der angeketteten psychisch Kranken und ihrer Befreiung in Westafrika widmet sich von Mittwoch an eine Ausstellung im Museele, dem Museum für Psychiatriegeschichte, im Göppinger Klinikum Christophsbad. Die StZ-Redakteurin Christine Keck vom Reutlinger Verein Freundeskreis St. Camille hat die Ausstellung mit Bildern der Fotografen Heinz Heiss und Uli Reinhardt kuratiert. Der Freundeskreis unterstützt die Partner in der Elfenbeinküste mit Medikamenten.
Frau Keck, was in aller Welt bitte sind denn Kettenmenschen?
In der Elfenbeinküste oder auch in Benin werden Menschen, die etwa an Psychosen erkrankt sind oder unter manisch-depressiven Schüben leiden, von ihren Angehörigen an Ketten gelegt oder in Hütten weggesperrt. Wie die Tiere werden sie angebunden, teils über Wochen, teils über Jahre. Manche sterben in der Gefangenschaft.
Wieso werden psychisch Kranke so bestialisch behandelt?
Die Familien haben Angst vor den oft gewalttätigen Ausbrüchen, sie sind überfordert und greifen zur Fixierung. Eine Methode, die ja auch in deutschen Kliniken angewendet wird. Dazu kommt die Sorge, dass die bösen Geister, die die Kranken befallen haben, auf Gesunde überspringen könnten. Die Angehörigen halten Abstand, verstecken die Verrückten am Rande der Dörfer.
Wie muss man sich das vorstellen?
Da ist zum Beispiel Véronique aus Abidjan, die ich bei einer meiner Reisen kennengelernt habe. Wegen ihrer manischen Phasen wurde sie von ihren eigenen Eltern einem Heiler in einem weit entfernten Dorf übergeben, der sie an einen Baum ankettete und versprach, sie von den Dämonen zu befreien. Véronique wurde mehrfach vergewaltigt, sie war eine leichte Beute für die Männer. Die Schreie der Irren wurden ignoriert, die Kindern hänselten sie.
Gibt es keine staatlichen Stellen, die sich um die Kranken kümmern?
Das medizinische Hilfesystem in der Elfenbeinküste ist miserabel, für die 23 Millionen Einwohner gibt es zwei staatliche psychiatrische Kliniken. Das heißt, viele Krankheiten werden nie diagnostiziert geschweige denn behandelt. Zudem leben viele Ivorer in großer Armut, ihnen fehlt das Geld, um Medikamente kaufen zu können. Eine schlechte Ernte und sie können es sich nicht mehr leisten, für Behandlungskosten aufzukommen.
Und was tun die Hilfsorganisationen?
Es gibt keine große Hilfsorganisation, die sich der Angeketteten annimmt, die haben deren Schicksal nicht auf dem Schirm, obwohl viele Tausende Menschen davon betroffen sind. Nicht nur in Westafrika, sondern auch in Ostafrika oder auf der Urlaubsinsel Bali. Die Angeketteten haben keine Lobby – und deshalb helfen wir.
Wie sieht diese Hilfe aus?
Wir schicken Psychopharmaka und Lebensmittel nach Afrika und unterstützen damit die katholische Organisation St. Camille de Lellis. Ihr Direktor ist der ehemalige Taxifahrer Gregoire Ahongbonon, der mit seinen Teams die Kranken von ihren Ketten befreit und in eigens gegründeten Therapie- und Rehabilitationszentren aufnimmt. Dort finden sie allmählich in ein menschenwürdiges Leben zurück. Sie werden neu eingekleidet und schlafen in Gruppenräumen. Ehemalige Kranke kümmern sich um die Neuzugänge, die Zentren setzen auf das Prinzip der afrikanischen Großfamilien. Die Kranken sollen dort aber nicht zu lange bleiben, sondern wieder selbstständig werden. Ziel ist die Rückkehr in die Dörfer und eine Langzeitversorgung mit Psychopharmaka. Die beste Aufklärung ist, wenn wir mit einem Kranken zurück in sein Dorf gehen, und er verhält sich dank der Medikamente wieder normal. Das nimmt den Familienmitgliedern die Angst.