Kriegt „Gottschalk live“ nach der Veränderung des Showkonzepts noch die Kurve. Seine Fans halten zu ihm, doch die Quote bröckelt weiter.

Berlin - Als er zur Tür hereinplatzt, ertappt man sich dabei, dass man erschrocken zusammenzuckt. Ja, er ist es tatsächlich. Ein groß karierter Anzug, ein verknittertes Lächeln, ein augenzwinkender Rat an die Jungs in der letzten Reihe: „Lehnt euch da nicht an. Oder habt ihr etwa Angst, dass ihr einschlafen könntet?“ Das ist Thomas Gottschalk – live.

 

Doch was hat er an diesem Ort verloren? Das Humboldt-Carré in Berlin-Mitte ist ein Palazzo Prozzo aus der Kaiserzeit. Außen preußische Pracht, innen Neue Sachlichkeit. Nur ein Metallschild neben dem Eingang weist darauf hin, dass sich zwischen Steuerberatern und Rechtsanwälten ein Mann einquartiert hat, der Gebäude dieser Größenordnung früher locker allein gerockt hätte. Hier also produziert die Grundy Light Entertainment eine Sendung, die momentan kaum einer guckt, über die aber jeder spricht. Hier entsteht „Gottschalk live“.

Seine neue Bühne, das ist ein Schuhkarton. Vom Mobiliar ist nach dem Relaunch nur noch der Schreibtisch übrig geblieben. Er steht ein wenig verloren inmitten eines Studios, das in ARD-Orange leuchtet. Man könnte auf die Idee kommen, sich zu Anne Will verirrt zu haben. Doch genau diesen Eindruck wollte der Redaktionsleiter verhindern. „Gottschalk ist ein Entertainer“, betont Markus Peichl, „er gehört auf eine Bühne, nicht in ein Wohnzimmer.“

Der Medienallrounder Peichl steht unter enormen Druck

Es ist 18.45 Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann geht es los. Peichl steht auf dem Flur und wirft einen Blick ins gläserne Studio, das sich langsam mit Zuschauern füllt. Vollbart, Stirnglatze, Hornbrille. Der gebürtige Österreicher wirkt behäbig, wenn er die Vokale dehnt, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Der Medienallrounder steht unter gewaltigem Druck. Einst hat er „Boulevard Bio“ und „Beckmann“ vor dem vorzeitigen Quotentod gerettet. Jetzt hängt es von ihm ab, ob Gottschalk doch noch die Kurve kriegt. Viel Zeit bleibt ihm nicht. Zehn Prozent Marktanteil soll die Show bis zum 20. April erreichen, doppelt so viel wie bisher.

So soll es die Mehrheit der ARD-Intendanten jüngst auf einer Schaltkonferenz gefordert haben. Sonst drohe der Show das Aus. So stand es in einigen Zeitungen zu lesen. Peichl wird lauter, wenn man ihn auf diese Berichte anspricht. „Da gibt es viele Menschen, die etwas zu sagen haben – oder auch nicht“, poltert er. Einen Konsens habe es nie gegeben. Den Marktanteil innerhalb kurzer Zeit zu verdoppeln, wäre illusorisch. „Das wäre so, als müssten Sie mit einer Propellermaschine zum Mond fliegen.“

Längerfristig aber, da ist Peichl zuversichtlich, könnte dieses Format den Vorabend revolutionieren. Was der Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ bei RTL gelungen sei, das könne „Gottschalk live“ auch in der ARD, nämlich die Sehgewohnheiten der Zuschauer verändern. Noch allerdings zieht der Showtitan den Kopf ein, wenn er sich in diesem Schuhkarton einen Weg zur Bühne bahnt und zwischendurch immer mal wieder stehen bleibt, um mit den Zuschauern zu plaudern. So war das schon früher, bei „Wetten, dass. . ?“. Dafür lieben ihn die Leute noch immer. Es erklärt vielleicht auch, warum die Berichte über das Auf und Ab seines Neubeginns mehr Raum einnehmen, als die Sendung verdient.

In Gottschalk manifestierte sich ein neuer Moderatorentyp

Der große Blonde mit dem notorischen Du war der erste TV-Entertainer, der den Zuschauern auf Augenhöhe begegnete. In seiner Person manifestierte sich die Geburt eines neuen Moderatorentyps. Aus Gott wurde Schalk. „Ich habe Sie schon im Wachsfigurenkabinett gesehen“, rutscht es einer Mittdreißigerin heraus, der er an diesem Abend die Hand entgegenstreckt. Gottschalk nimmt es mit Humor. „Da war ich wohl glatter“, kontert er.

Mit der Optik seines Studios hat sich auch das Konzept seiner neuen Show verändert. Schneller, kleinteiliger und kurzweiliger ist sie geworden. Und Platz für Zuschauer gibt es auch. Fünf Dutzend sind an diesem Mittwoch gekommen, zur Hälfte junggebliebene Großeltern in Goretex-Jacken, zur Hälfte junge Erwachsene aus der werberelevanten Zielgruppe, die man eher in einer Großraumdisco vermuten würde. Nein, es sei nicht schwer gewesen, Tickets zu bekommen, sagt Christian Langbecker, 28, Altenpfleger aus Berlin. Er hat Karten für sich und „die Mutti“ besorgt, acht Euro pro Stück. Seine Familie habe schon früher kaum eine Folge von „Wetten, dass. . ?“ verpasst. Sie schalte auch das neue Format regelmäßig ein. „Irgendeiner guckt eigentlich immer, und sei es die Omi.“

Kennt die Omi den Komiker Ralf Schmitz, oder Collien Ulmen-Fernandes, die Viva-Moderatorin und Schauspielerin? Beide sind an diesem Abend zu Gast im Studio, er, klein, aber hihi, sie hochschwanger. „Collien wer?“, fragt eine alte Dame, die sich als Gottschalk-Fan der ersten Stunde zu erkennen gibt: „Ich habe schon vor 40 Jahren gesagt: ,Aus dem wird mal was.‘“ Sie ist nach der Sendung nicht viel schlauer als zuvor. Man redet über Schmitz’ Katze und die Frage, ob Collien Ulmen-Fernandes ein Mädchen oder einen Jungen erwartet. Aber die werdende Mama möchte lieber über den neuen ARD-Krimi sprechen, in dem sie eine Mordverdächtige spielt. Den Titel hat Gottschalk vergessen. „Toni Dingsda“.

Schlag auf Schlag müsse es gehen

Am Vorabend sei es noch zu früh, sich zurückzulehnen, hat sein Redaktionsleiter eben noch verkündet. Schlag auf Schlag müsse es gehen. Hier ein Einspieler, dort ein kurioses Fundstück aus dem Internet. Das sei das genau Tempo, das Gottschalk brauche. Tatsächlich plätschert die halbe Stunde so dahin. Man hat den Eindruck, dass der Gastgeber nicht traurig wäre, wenn bei Collien Ulmen-Fernandes jeden Moment die Wehen einsetzen würden.

Bis jetzt reagiert das Publikum nur verhalten auf die Neuerungen. Zwar zogen die Quoten nach dem Relaunch kurzfristig leicht an. Doch schon am Donnerstag rutschte die Quote wieder in den Keller, unter eine Million Zuschauer. Schon ertönen wieder die Forderungen, die ARD müsse die Notbremse ziehen. Christian Langbecker macht das Hickhack ratlos. Er sagt, live sei Gottschalk noch netter als im Fernsehen. Sogar ein Autogramm habe er ihm gegeben. Der 28-Jährige hat ihn nach der Show am Eingang abgepasst. Andere Fans standen auch schon bereit, „Wetten, dass. . ?“-Bildbände unterm Arm. Vielleicht war es die letzte Gelegenheit, sie signieren zu lassen. Als Gottschalk ins Taxi springt, sagt einer leise „Tschüss“.