Einst Ritterschlag, längst Problemzone: Die große TV-Show für die ganze Familie, nein, fürs ganze Volk. Zur Not muss wieder Thomas Gottschalk ran. Am Sonntag kehrt der Mann ohne Zeitgefühl zu RTL zurück.

Köln - Er kommt zurück, im ganz großen Stil. Nicht als Sidekick von Günther Jauch oder Dieter Bohlen, auch nicht als vergnüglicher Spieleshow-Gastgeber. Am Sonntagabend, 20.15 Uhr, lädt RTL vollmundig zu über drei Stunden „live aus Berlin“ ein: „Mensch Gottschalk – Das bewegt Deutschland“.

 

„Von allem etwas und dennoch einzigartig – die neue Infoshow für die ganze Familie“, verspricht der Beipackzettel des Kölner Privatsenders. Zyniker mögen hier einwerfen, Thomas Gottschalk möge bitte tatsächlich etwas bewegen und nicht lediglich eine groteske Bruchlandung hinlegen, wie 2012 in der ARD mit „Gottschalk live“ – der Vorabendtalkshow, die nach nur zwei Monaten alles und trotzdem gar nichts gesagt hatte und wieder eingestellt wurde.

Erste Topfgucker bei „Mensch Gottschalk“ klingen – je nach Blickwinkel, natürlich – vielversprechend oder wahlweise nach krampfhaft konstruierter Konsenssuche: Nena, Dieter Zetsche, Urlaub, Fußball, Terrorangst, Krebs und die Pet Shop Boys. Was Deutschland bewegen soll, lassen auch angekündigte Themen erahnen wie zum Beispiel „Kurz vor der Fußball-EM und dem Sommerurlaub – Terrorgefahr in Europa und Deutschland“. Das ist populistischer Quatsch, der wirkt wie in der Spiegel TV-Redaktion gezimmert. Natürlich aus den altbewährten RTL-Kernkompetenzen: „Angst, Titten, Wetter“.

Und tatsächlich wird die Show von Spiegel TV produziert. Fürs Bühnenbild wiederum zeichnen Leute verantwortlich, die sich schon bei „Wetten, dass...?“ nicht zu schade waren, Rock- oder Rap-Musiker pauschal neben brennende Mülltonnen zu stellen – das wirkt verwegen, jugendlich und glaubhaft. „Mensch Gottschalk“ soll sich aber „loungig“ anfühlen. Gemütlich, ungezwungen – aber bitte nicht zu sehr.

Samuel Koch ist zu Gast, als solle sich ein Kreis schließen

Als Konkurrenz haben sich die Macher den Tatort ausgeguckt, der zeitgleich in der ARD startet. Gegen den wollen Frank Hoffmann (RTL Chef), Steffen Haug (Spiegel TV), Alexander Kluge (dctp) respektabel bestehen – wie auch immer das letztendlich aussehen mag. Da ermitteln immerhin Meret Becker und Mark Waschke in Berlin, und im Anschluss wird Anne Will in ihrer Talkshow die Befindlichkeiten der Nation zerreden lassen. Doch auch das will „Mensch Gottschalk“ leisten, Themen aufbereiten, über die Deutschland spricht. Weder Show, Talk noch Magazin, sondern alles in einem: 15 Gäste, Talkrunden, Einspieler, Musik – Unterhaltung pur. Und natürlich Journalismus, unterhaltsam präsentiert.

Auch Samuel Koch ist als Gast angekündigt, der Mann, der seit seinem tragischen Unfall im Dezember 2010 bei „Wetten, dass...?“ querschnittsgelähmt ist. Das Schicksal des mittlerweile 28-jährigen Schauspielers änderte vor über fünf Jahren nachhaltig Gottschalks Bild der quietschbunten Power-Unterhaltung mit Adrenalinkick. Er beendete das Kapitel „Wetten, dass...?“ für sich. Dass er nun Samuel Koch eingeladen hat, wirkt so, als solle sich jetzt – zumindest für Gottschalk – ein Kreis schließen. Möge dies bitte in Würde geschehen.

Doch wie alleine die Diskussion um Gottschalks Nachfolge bei „Wetten, dass...?“ zeigte: Mit dem 66-Jährigen vergleichbare Showmaster, Moderatoren und Entertainer sind heutzutage rar – vermutlich kann lediglich Barbara Schöneberger derart „abliefern“, doch es ist nur verständlich, dass die sich nicht ständig in irgendwelche Waagschalen werfen lassen mag.

Er überlässt das Licht und den Glamour gerne seinen Gästen

Gottschalk kann das, woran Markus Lanz bei „Wetten, dass...?“ scheiterte: Er versucht gar nicht erst, es allen Recht zu machen – dafür aber vielen. Lanz wollte alles darstellen: Kumpel, Star, Raab, Stammtisch, Zyniker und Moralinstanz in Personalunion. Gottschalk wiederum ist ein Entertainer vom alten Schlag, er nimmt sich selbst zurück, lässt sich etwas tapsiger erscheinen als er tatsächlich ist, um das Licht und den Glamour vollkommen seinen Gästen zu überlassen. Er gibt seinen Zuschauern das, wofür sie das Fernsehergerät eingeschaltet haben: Unterhaltung, die große Welt des Showbiz und die kleine Flucht vor dem Alltag.

Vor der Show, nach der Show und an allen anderen Tagen gibt’s den Prominenten und die verdiente Ikone Thomas Gottschalk – aber Show ist Show und da macht der Wahlkalifornier seinen Job: unterhalten und andere Leute gut aussehen lassen. Wenn dazu gehört, sich selbst als sparwitzelnden Fummelmoderator zu inszenieren, um ein snobistisches Sternchen wie Paris Hilton nicht vor ihrer Zeit verglühen zu lassen – dann tut Gottschalk das. Auch wenn es bedeutet, dass nur ein Teil der Zuschauer über einen ungelenken Witz schmunzelt, während sich der Rest die flache Hand gegen die Stirn kloppt – auch das klatscht.

Applaus ist die Währung des Entertainers. Gottschalk ist einer, der das Netz auswirft und trotzdem jedem die freie Wahl lässt, sich angeln zu lassen.

Natürlich wird er mit „Mensch Gottschalk“ scheitern, denn gewinnen ist längst keine Option mehr. Das stetig steigende Angebot in Fernsehen und Netz minimiert die Chancen, dass ganze Familien sich je wieder gleichzeitig auf eine Sendung einigen können. Das ist Zeitgeist und weder schlimm noch die Schuld der Fernsehmacher. Es sei denn, sie halten krampfhaft an dieser schönen Nostalgie fest: Die Familie, die sich über Essen, Parteien, Krisen und Lebensentwürfe streitet, und sich dann am Sonntagabend in gemütlicher Eintracht über Nena oder einen Einspielerfilm mit dem Daimler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche freuen soll.

Gottschalk wird höchstens an den von RTL gefütterten Erwartungen scheitern

Ausgerechnet auf dem Sendeplatz, an dem die Volkswut mittlerweile aus reiner Gewohnheit überbrodelt. Ob „Tatort“, früher Jauch oder jetzt wieder Anne Will – Sonntagabend ist die Fernsehnation chronisch unzufrieden, denn das sind schließlich auch die letzten Stunden vor Montag – und den mag niemand. Wer da bestehen will, muss schmerzfreier Vollprofi, Teufelskerl oder vollkommen naiv sein. Gottschalk wird höchstens an den von RTL gefütterten Erwartungen scheitern, eine Nation und ganze Familien hätten jahrelang darauf gewartet, endlich wieder gemeinsam von Thomas Gottschalk vor den Fernseher gezogen zu werden.

Aber eines ist auch klar: wer da sitzt, wird voraussichtlich etwas länger sitzen als die geplanten drei Stunden und fünfzehn Minuten. Denn Zeitgeist und Zeitgefühl – das war beides noch nie etwas für „den Thommy“.

RTL, Sonntag, 20.15 Uhr