Eine Immobilienbesitzerin lässt ihr nagelneu gerichtetes Haus in der Schlossstraße besprühen, weil sie das für Kunst hält und schön findet. Sie hofft, dass andere ihrem Beispiel folgen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Wer sagt, dass Hauswände immer eintönig sein müssen? „Man muss sich halt auch mal was trauen!“, findet Ulrike Köngeter. Und weil die Inhaberin der Firma U&B Immobilien dazu in der Lage ist, ließ sie eines ihrer Wohnhäuser von Graffitikünstlern gestalten. Das Haus Schlossstraße 64 ist ein echter Hingucker geworden – im Sockelgeschoss wird es von Comicfiguren bevölkert, über denen in den darüberliegenden Etagen Schriftzüge hinwegziehen. Ulrike Köngeter hatte unter den Sprühern in Stuttgart einen Wettbewerb ausgelobt. In der Motivwahl waren die Künstler frei. Die einzige Vorgabe der Auftraggeberin: „Ich wollte nichts Politisches.“

 

Fünf Entwürfe gingen ein. Köngeter entschied sich für den von Frederik Merkt. Im Sommer vergangenen Jahres begann Merkt gemeinsam mit seinem Freund und Künstlerkollegen Daniel Schmieder an der Sprüharbeit. Sie hatten ein monumentales Werk vor sich, die Fassade musste rundum und über alle fünf Geschosse gestaltet werden. „Das war für uns schon eine größere Hausnummer“, sagt Merkt. „Etwas von der Größe hatte ich noch nie gemalt.“ Im Frühsommer diesen Jahres beendeten sie schließlich nach längerer Pause ihr Œuvre. In der Zwischenzeit waren auch die Umbauten im Innern des Gebäudes abgeschlossen. 22 hochwertige Ein- und Zweizimmer-Wohnungen für eine junge, aber zahlungskräftige Klientel sind entstanden. Die Mieter seien hauptsächlich Studierende und Berufsanfänger, sagt Köngeter.

Polizei wird alarmiert

Die Resonanz der Nachbarn sei überwiegend positiv gewesen, sagt Frederik Merkt, nur ein paar hätten gebruddelt. Ulrike Köngeter berichtet, dass mal irgendjemand die Polizei gerufen habe, als die beiden Künstler noch auf dem Gerüst standen und ihre Sprüharbeit erledigten. „Ich musste dann erklären, dass das alles seine Richtigkeit hat.“ Mit dem Werk ist die Auftraggeberin sehr zufrieden und auch mit ihrer Entscheidung für diese Art der Fassadengestaltung: „Einer musste ja mal den Anfang machen in Stuttgart. In anderen Metropolen ist Graffiti längst als Kunst etabliert. Und in meinen Augen ist das auch Kunst.“ Bei Bauträgerprojekten sei die Deko aus der Sprühdose zwar nicht realisierbar, sagt die Immobilienfachfrau. Aber mit Häusern, die ihr selbst gehören, könne sie machen, was sie wolle. „Und ich wollte einen Akzent setzen.“ Köngeter hofft ein bisschen, dass ihr Beispiel Schule macht.

Das Leben als Inspirationsquell

Auch für den Grafikdesigner Merkt wäre das ein erfreulicher Nebeneffekt des Auftragwerkes Schlossstraße 64. Seit Jugendtagen sprüht der mittlerweile 38-Jährige aus Leidenschaft und hat seine Technik und seine Motive über Jahre verfeinert. „Ich ziehe meine Inspiration aus dem Leben – und aus der Popkultur.“ Eine zentrale Rolle in seinen Arbeiten kommt der Schrift zu, während seines Grafik-Studiums hat er sich eingehend mit Typografien befasst. Für ihn wäre es schön, wenn sich mit diesem Talent auch die Miete bestreiten ließe. Immerhin hat er nun ein ansehnliches Stück in seinem Portfolio als Künstler. Denn jeder kann sich die Arbeit vor Ort betrachten und beschließen: „So was will ich auch haben.“ Oder man geht einfach vorüber und freut sich, dass sich ein Haus so keck aus der eintönigen Uniformität der Fassadenphalanx hervortut.