Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangt von Deutschland Reparationszahlungen in Milliardenhöhe. Berlin hält das für unbegründet. In der Koalition mehren sich die Stimmen, die davor warnen, dass Athen den Bogen überspannt.

Berlin - Die Antwort fällt einsilbig aus. Das Auswärtige Amt und das Finanzministerium wollen in dieser Sache nichts weiter sagen. „Es gibt keinen neuen Stand“, heißt es in den Ressorts. Der Vize-Regierungssprecher Georg Streiter wiegelt am Montag mit der Begründung ab, zu den griechischen Reparationsforderungen an Deutschland liege nur eine weitere Meinungsäußerung vor – doch diese Wortmeldung hat es in sich. In einer Regierungserklärung hat Ministerpräsident Alexis Tsipras angekündigt, dass Griechenland Reparationsforderungen aus der Zeit der Naziherrschaft durchsetzen will. Schon im Wahlkampf wurde bekannt, dass Deutschland nach griechischer Rechnung elf Milliarden Euro begleichen soll. Mit der Rede vor dem Parlament zeigt Tsipras, dass es ihm ernst ist.

 

Die Bundesregierung versucht seit Monaten, die Angelegenheit herunterzuspielen. Bisher seien der deutschen Regierung keine Forderungen vorgelegt worden, teilt sie mit. Das sagt nicht viel: Formal hat die griechische Regierung noch nichts unternommen, um ihre Forderung rechtlich durchzusetzen. Ob es dazu kommt, ist offen. Denn die Frage der Reparationen belastet das deutsch-griechische Verhältnis seit Jahrzehnten. Dass die griechische Regierung ihr Ansinnen gerade jetzt wieder zur Sprache bringt, halten die Diplomaten in Berlin für keinen Zufall. Schon im März könnte Hellas wieder einmal die Zahlungsunfähigkeit drohen. Zur Pleite kommt es, falls sich die Euroländer und Athen nicht doch noch auf Lösungen für Reformauflagen und Kredite einigen.

Tsipras’ Ankündigungen geben in Deutschland den Eurokritikern Auftrieb. Schon deshalb versucht die Bundesregierung, die Äußerungen der griechischen Politik kleinzureden. Die Alternative für Deutschland (AfD) reagiert aber prompt: Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke zeigt sich angesichts der Reparationsforderungen empört. „Angesichts der Leistungen, die Deutschland seit fünf Jahren für Griechenland erbringt, ist das nur noch unverschämt“, kommentiert Lucke Tsipras’ Vorstoß.

Rechtsweg würde deutsch-griechisches Verhältnis belasten

Auch Unionspolitiker warnen, dass Griechenland den Bogen nicht überspannen dürfe. „Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht“, sagt der Unions-Haushaltspolitiker Norbert Barthle, der in Kürze Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium wird. Deutschland sei schließlich das Land, das mit der Griechenland-Rettung die höchsten Risiken eingegangen sei. Die Kredite der Euroländer und des Internationalen Währungsfonds (IWF) an Griechenland summieren sich auf 240 Milliarden Euro. Für Deutschland steht damit ein Vielfaches der elf Milliarden Euro im Feuer, die Griechenland verlangt.

Auf die Ankündigung aus Athen reagiert Berlin nach außen gelassen. Rechtlich muss Griechenland seine Forderung erst geltend machen. Eine Regierungserklärung von Tsipras reicht dazu nicht aus. Einig ist sich die Bundesregierung bei der Beurteilung der politischen Folgen: Falls Athen den Rechtsweg wählt, würde das ohnehin schwierige deutsch-griechische Verhältnis weiter belastet. Schon jetzt registriert Berlin mit Sorge, dass die Vorwürfe in griechischen Medien gegen Deutschland wieder zunehmen. „Leider erleben wir seit Jahren, dass in Griechenland die Neigung groß ist, Deutschland als Feindbild darzustellen“, heißt es in der Koalition. Die Schuld für die Misere werde häufig im Ausland gesucht. Immer wieder tauchen bei Demonstrationen in Griechenland auch Plakate auf, die Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit NS-Symbolen in Verbindung bringen.

Wer in der Sache recht hat, darüber streiten die Juristen. Klar ist, dass sich ein Rechtsstreit über Jahre hinziehen dürfte und an der akuten Finanznot der Griechen nichts ändert. Die Bundesregierung führt zwei Gründe an, warum sie den Anspruch auf Reparationszahlungen ablehnt. Zum einen gehe es um die Wiedergutmachung für erlittenes NS-Unrecht: Dazu schloss die Bundesregierung in den 1950er und 1960er Jahren Entschädigungsabkommen mit zwölf westlichen Regierungen ab; auch mit Griechenland wurde 1960 ein entsprechender Vertrag unterschrieben. Damit sei auch vereinbart worden, dass die Wiedergutmachung von NS-Unrecht abschließend geregelt sei, erklärt das Bundesfinanzministerium.

Reparationsforderungen als Nebenkriegsschauplatz

Den Anspruch auf Reparationen hält Berlin aus einem weiteren Grund nicht für stichhaltig: „Bald 70 Jahre nach Kriegsende hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“, erklärt das Finanzressort. Als 1990 die beiden deutschen Staaten mit den einstigen vier Alliierten den Zwei-plus-vier-Vertrag zur Wiedervereinigung unterzeichneten, seien Reparationsfragen endgültig für erledigt erklärt worden – so die Sichtweise der Bundesregierung. Dies habe damals auch Griechenland akzeptiert.

Die Bundesregierung hält die Reparationsforderung für einen Nebenkriegsschauplatz. Aus der Sicht von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) steht eine andere Frage im Vordergrund: Er wiederholt gebetsmühlenhaft, dass es finanzielle Hilfen der Euroländer nur geben könne, wenn Griechenland Reformauflagen akzeptiert. Für ihn sei ohnehin unklar, wie das von der Pleite bedrohte Land weitermachen wolle. Deutschland werde Hellas keine Kredite aufdrängen: „Ich bin zu jeder Hilfe bereit, aber wenn von mir keine Hilfe gewünscht wird, ist das auch in Ordnung.“

Selbst wenn Griechenland seine Reparationsforderungen eines Tages juristisch durchsetzen könnte, ist fraglich, ob es jemals Geld sieht. Denn Deutschland könnte seinerseits eine Rechnung aufmachen, wie das Land mit deutscher Hilfe in den vergangenen fünf Jahren gestützt worden ist. Kredite wurden vergeben, Zinsen und Tilgungen gestundet. Hinzu kommen auch noch ausstehende Zahlungsverpflichtungen der griechischen Regierung aus Rüstungsgeschäften mit Deutschland.