Guttenberg kapituliert, Malte Spitz zieht blank: Politische Projekte im Netz haben gute Chancen, den Online Grimme Award zu gewinnen.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Köln - Vor den Plagiatejägern hat es kein Entrinnen gegeben: Mehr als 1000 freiwillige Helfer hatten die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg zerpflückt. Die Ergebnisse auf der Website GuttenPlag Wiki brachten den Politiker in Erklärungsnot – bis er schließlich kapitulierte. 1218 Stellen spürten die Netznutzer auf, die der Autor ohne Quellenangabe abgeschrieben hatte. Etwa 95 Prozent aller Seiten entlarvten die Helfer als Kopie. Lange Zeit taumelte Guttenberg, während die Freiwilligen unermüdlich die Doktorarbeit sezierten, bis der ehemalige Verteidigungsminister schließlich sein Amt niederlegte und die Universität Bayreuth ihm den Doktortitel aberkannte.

 

Die Mitmach-Plattform ist eines von 26 Internet-Projekten, die für den Online Grimme Award nominiert sind. Am Mittwoch prämiert eine Jury in Köln die bis zu acht Gewinner für „publizistische Qualität im Netz“. Bei GuttenPlag Wiki sei es vor allem die Dynamik gewesen, die sie beeindruckt habe, sagt Carolin Buchheim, die Vorsitzende der Nominierungskommission. Dass sich innerhalb kürzester Zeit so viele Menschen mit einem gemeinsamen Ziel zusammenschließen und solch eine große Wirkung erzielen, „das fanden wir herausragend“, sagt die Journalistin. „Ein einzelner Mensch hätte das nicht leisten können.“

Tatsächlich hätte zu Beginn kaum einer damit gerechnet, dass das Projekt letztendlich einen Minister zum Abgang zwingen würde. Die Helfer wurden anfangs eher belächelt, als sie noch in einem schlichten Textdokument bei Google Docs die kopierten Stellen der Doktorarbeit kennzeichneten. Das Projekt wurde kaum wahrgenommen. Doch mit der Zeit beteiligten sich immer mehr Freiwillige, irgendwann war die Datei auf den Google-Servern völlig überlastet. Daraufhin gründete der anonyme Projekt-Initiator PlagDoc die Seite GuttenPlag Wiki.

Dass in der Folge ein Minister sein Amt verloren hat, spiele bei der Nominierung keine Rolle, sagt Carolin Buchheim. „Wir haben den Prozess bewertet und nicht die Absetzung eines Ministers.“ Vielmehr sei das Wiki-Projekt ein klarer Beweis dafür, dass die Netzkultur sich durchaus entscheidend auf die Gesellschaft auswirken könne. „Einige Leute behaupten ja immer noch, dass alles unwichtig sei, was im Internet passiert“, sagt die Journalistin. Doch GuttenPlag Wiki habe gezeigt, dass „das nicht stimmt“.

Entblättern für den Datenschutz

Auch Malte Spitz hat im Netz ein Zeichen gesetzt. Der Grünen-Politiker aus Berlin kämpft für Neutralität im Internet und lehnt Netzsperren ab, doch vor allem wehrt er sich gegen die Vorratsdatenspeicherung. Aus Protest entblößte Malte Spitz sein Leben im Zeitraum zwischen September 2009 und Februar 2010 bei „Zeit Online“ für das Projekt „Verräterisches Handy“, das ebenfalls für den Grimme Online Award nominiert ist. Als gläserner Politiker kritisierte er das Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung, das im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde. Er machte darauf aufmerksam, dass durchaus sensible Daten an die Telefonanbieter übermittelt werden.

Um an die Verbindungsdaten seines Handys zu gelangen, klagte Malte Spitz seine Daten bei der Telekom ein. Er ließ sich alle Details über seine Telefonnutzung zusenden. Anrufe, Kurznachrichten, Aufenthaltsorte: All diese Informationen schickte er an „Zeit Online“, die daraus ein exaktes Bewegungsprofil erstellten. Eine interaktive Grafik zeigt auf der Seite minutengenau an, wo Malte Spitz sich aufgehalten hat, wann er telefonierte, wann er schlief und wohin er reiste. Zusätzlich mischten die Redakteure die Vorratsdaten mit öffentlichen Äußerungen des Politikers unter anderem bei Twitter. Daraus ermittelten sie nicht nur, wo und wann sich der Politiker aufhielt, sondern teilweise auch den Anlass, warum Malte Spitz einen Ort aufsuchte.

Für Carolin Buchheim ein gutes Beispiel dafür, wie man „ein komplexes Thema ausdrucksstark und anschaulich visualisieren kann“. Sie sei froh, sagt Buchheim, dass der Preis in diesem Jahr „eine starke politische Komponente hat“. Eine wirklich politische Kategorie ist für den Grimme Online Award bisher jedoch nicht vorgesehen. Das Handy-Projekt und die Plagiatejäger treten beide in der Sparte „Spezial“ an - und wetteifern um den Sieg mit Kandidaten aus den Kategorien Wissen, Information und Unterhaltung.