Beim Grimme-Preis, der wichtigsten Auszeichnung für Qualitäts-Fernsehen, gehen die Privatsender in diesem Jahr leer aus. Man setze auf Kraft und Kreativität, schreibt das Jurymitglied Thomas Gehringer.

Stuttgart - Grimme macht auf großes Kino: Zum ersten Mal sind die Träger des Preises an einem traditionsreichen Ort der Filmkunst verkündet worden, im Essener Filmstudio Glückauf, einer 1924 eröffneten und vor wenigen Jahren sanierten Spielstätte. Es ging dann aber wie jedes Jahr nur ums Fernsehen, aber was heißt hier „nur“? Es gab auch 2014 diese Momente, in denen man seinen Augen nicht zu trauen glaubte, weil das viel gescholtene Allerweltsmedium dann doch wieder eine ungeahnte Kreativität und Kraft bewies.

 

Da sprengte der Hessische Rundfunk (HR) im Oktober mit einer irren Mischung aus Shakespeare und Tarantino alle „Tatort“-Konventionen: „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur und Ulrich Matthes zählt zu einem der fünf Preisträger in der Kategorie Fiktion. Da brachte das Kabarett-Team der ZDF-„Anstalt“ im November einen syrischen Flüchtlingschor auf die Bühne und zog mitten in der Jubiläumsstimmung 25 Jahre nach dem Mauerfall eine bittere Parallele zur gegenwärtigen Flüchtlingspolitik – und auch diesen Preis in der Kategorie Unterhaltung durfte man erwarten.

Gewiss nur wenig Zuschauer sahen im vergangenen März die Reportage „Die Kinder von Aleppo“, denn sie wurde im ZDF erst um 0.45 Uhr ausgestrahlt. Was sehr ärgerlich ist, aber immerhin gibt es Journalisten wie Marcel Mettelsiefen, die jenseits der Nachrichtenroutine aus Kriegsgebieten berichten. Sein Film „Die Kinder von Aleppo“ erhält eine von fünf Auszeichnungen in der Kategorie Information und Kultur.

Das Grimme-Institut im Umbruch

Das Krisenjahr 2014 hat also seinen Niederschlag gefunden in den Preisen, über deren Mischung man wie üblich streiten kann. Der vom Deutschen Volkshochschulverband gestiftete, undotierte Grimme-Preis gilt als unabhängiges Güte-Siegel des Fernsehens, aber auch als etwas verstaubt. Dabei hat er zuletzt an Bedeutung gewonnen, denn ARD, ZDF, RTL und Pro-SiebenSat-1 haben den Deutschen Fernsehpreis in einer beachtlichen Anstrengung gemeinschaftlich ruiniert und schließlich zu Grabe getragen.

Grimme indes wird zum 51. Mal vergeben und ist immer noch da, befindet sich aber im Umbruch. Das Marler Institut hat mit Frauke Gerlach eine neue Leiterin. Und nach mehr als drei Jahrzehnten wird der Preis nicht mehr von Ulrich Spies, sondern vom neuen Referenten Steffen Grimberg organisiert. Gerlach und Grimberg haben moderate Reformen des Preises angekündigt, der noch ganz auf das lineare Fernsehen ausgerichtet ist und deshalb in Schwierigkeiten geraten könnte.

Aber man bemüht sich. So wird in der Unterhaltung neben der „Anstalt“ ein öffentlich-rechtliches Experiment ausgezeichnet. „Mr. Dicks – Das erste wirklich subjektive Gesellschaftsmagazin“ ist ein schräges, jeweils halbstündiges Sammelsurium, das im Februar beim Digitalsender Eins Festival ausgestrahlt worden ist und sowohl im Netz als auch im Hörfunk präsent war. Grimme honoriert damit die Anstrengung, crossmediale Formate für ein junges Publikum zu entwickeln. Mit Jochen Rausch, dem Leiter der WDR-Welle Eins Live, wird erstmals sogar ein Radiomacher ausgezeichnet, denn „Mr. Dicks“ entspringt der von Rausch ebenfalls geleiteten „Innovationsredaktion“ des Kölner Senders.

Qualität schlägt Quote

Grimme wird sich für neue Ansätze öffnen müssen – und sollte doch auf der Tradition beharren, nicht nach Quoten zu urteilen, sondern nach Qualität. Und dann kann es eben auch geschehen, dass öffentlich-rechtliche Eventfilme und kommerzielles Klamaukfernsehen bei der Prämierung leer ausgehen. Diese Art von Verstaubtheit darf gerne erhalten bleiben. Die Preisverleihung findet am 27. März in Marl statt.