Jedes Jahr wird ein neuer Grippe-Impfstoff entwickelt. Doch perfekt ist der Schutz bisher nicht. Risikogruppen wie etwa Menschen über 60 Jahre sollten sich trotzdem Impfen lassen, empfehlen Ärzte – und hoffen auf künftige, bessere Impfstoffe.

Stuttgart - Es gibt Impfstoffe, die einen fast hundertprozentigen Schutz vor einer Erkrankung bieten. Der Impfstoff gegen die Grippe (Influenza) gehört leider nicht dazu. Seine Schutzwirkung hängt stark davon ab, wie gut die im Impfstoff enthaltenen Viren oder Virusbestandteile mit jenen Viren übereinstimmen, die aktuell im Umlauf sind. Wie der Impfstoff zusammengesetzt ist, wird aber jedes Jahr bereits im Frühjahr festgelegt, damit er für die nächste Saison rechtzeitig fertig wird. Deshalb sind mehr oder weniger starke Abweichungen von den dann tatsächlich auftretenden Viren unvermeidbar. Der Schutz hält auch nur für eine Saison an.

 

Bei Menschen im Alter über 60 Jahren, also jener Gruppe, der zur Impfung geraten wird, ist nach einer neuen Metaanalyse von Epidemiologen der Universität Groningen die Schutzwirkung mitunter nur mäßig. 35 Studien aus 15 Ländern und neun Grippe-Saisons wurden in die im Fachmagazin „Lancet Infectious Diseases“ veröffentlichte Analyse einbezogen. Das Ergebnis: Wenn der Impfstoff und die zirkulierenden Viren übereinstimmen, beträgt der Schutzeffekt bei kleinräumigen, sporadischen Ausbrüchen nur 31 Prozent, bei großflächigem Auftreten etwa 46 Prozent und bei regionalen Ausbrüchen immerhin 58 Prozent. Wenn die Viren im Impfstoff von den zirkulierenden Viren abwichen, ging bei einem regionalen Ausbruch das Infektionsrisiko um 43 Prozent zurück, bei einem großflächigen Ausbruch um 28 Prozent.

In der Regel gut verträglich

„Diese Metaanalyse trifft ein Problem“, sagt der Virologe Thomas Mertens, Präsident der Gesellschaft für Virologie (GfV) und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). „Die Influenza-Impfstoffe sind nicht optimal. Aber die Influenza-Impfung ist derzeit das Beste, was es gegen die Grippe gibt. Es wäre deshalb ein Fehler, die Influenza-Impfung nicht mehr zu empfehlen.“ Ein Teilschutz sei immer noch besser als gar keiner, und sowohl der Lebend- als auch der Totimpfstoff seien gut verträglich. Außer örtlichen Reaktionen wie Schwellungen und Rötungen treten höchstens noch Muskelschmerzen und leichtes Fieber auf. Beim Lebendimpfstoff ist die am häufigsten beobachtete Nebenwirkung eine verstopfte Nase. Bei älteren Menschen mit ihrem gealterten Immunsystem ist der Schutzeffekt zusätzlich verringert. Bei gesunden Erwachsenen unter 60 Jahren liegt er zwischen 40 und 70 Prozent.

Wer sollte sich nun impfen lassen? Außer Menschen im Alter über 60 Jahren empfiehlt die Stiko dies weiteren Gruppen: gesunden Schwangeren ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel und chronisch kranken Schwangeren bereits ab dem ersten Drittel. Schwangere haben wahrscheinlich wegen der besonderen Immunsituation bei einer Grippe ein höheres Risiko einer schwereren Erkrankung, die eine Krankenhausbehandlung erforderlich macht. Außerdem schützt eine Impfung der Mutter das Neugeborene vor Komplikationen durch die Influenza während der ersten Lebensmonate.

Weiterhin sollten sich laut Stiko Personen, die in Pflegeheimen oder Langzeitpflegeeinrichtungen leben, medizinisches Personal sowie Personen mit chronischen Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes gegen die Grippe impfen lassen. Chronisch Kranken ist die Impfung besonders angeraten, weil sie schwerer erkranken und häufiger unter Komplikationen wie Lungenentzündungen, schwerer Bronchitis, Herzinfarkt oder Schlaganfall leiden.

Impfung per Nasenspray?

Bei chronisch kranken Kindern rät die Stiko zur Impfung mit einem Lebendimpfstoff als Nasenspray. Wer aber eine Immunerkrankung hat oder an schwerem Asthma leidet, sollte sich spritzen lassen.

Für die Zukunft hofft Mertens auf neue Impfstoffe. „Optimal wären Impfstoffe, die völlig unabhängig von einzelnen Influenzavirus-Subtypen sind und sich gegen einen zu allen Influenzaviren gehörenden Bestandteil richten. Aber so weit sind wir leider noch nicht.“ Wie schnell die Entwicklung vorangehen wird, ist unklar. Die Impfstoffproduktion konzentriert sich auf wenige Pharmaunternehmen, vorangetrieben durch Vertragsabschlüsse zwischen Krankenkassen und bestimmten Unternehmen. Das, so befürchtet der Ulmer Virologe, könnte sich hemmend auswirken.