Mit einer großen Razzia sind Polizei, Finanzamt und Gaststättenbehörde gegen Spielhallenbetreiber in der Region Stuttgart vorgegangen. Sie sollen an mehreren Standorten – die meisten in der Landeshauptstadt – Automaten manipuliert haben.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Ein Gast steht am Dienstag verwirrt vor der Spielhalle beim Untertürkheimer Bahnhof. Obwohl der Betrieb täglich schon morgens früh um sechs öffnet, rüttelt der Mann vergeblich an der Tür. Sie bleibt zu. Nicht nur an diesem Tag, sondern für immer. Die Stadt Stuttgart hat den Betrieb schließen lassen, da gegen den Betreiber der Verdacht besteht, Steuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben.

 

Während der Mann um kurz vor neun weiterzieht, durchsuchen drinnen Beamte der Stuttgarter Polizei und des Finanzamts zusammen mit Mitarbeitern der städtischen Gaststättenbehörde die Räume. Die Feuerwehr muss kommen und verschlossene Türen öffnen, damit die Beamten Zugriff auf alle Beweismittel haben.

Die Durchsuchung in zwei Spielbetrieben in Untertürkheim ist Teil einer groß angelegten Razzia des Dezernats für Organisierte Kriminalität bei der Stuttgarter Polizei. Insgesamt 42 Objekte – Wohnungen, Geschäftsräume, Gaststätten und Dönerbuden – nehmen sich die Beamten vor, 17 allein in Stuttgart. Weitere Ermittler sind in der Region in Weil der Stadt (Kreis Böblingen) und Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) im Einsatz. Zur gleichen Zeit werden Objekte in Rheinland-Pfalz und in der Schweiz auf den Kopf gestellt. Die Beamten suchen Beweise für den Verdacht, dass fünf Männer im großen Stil die Automaten umprogrammiert haben, um Geld am Finanzamt vorbeizuschaffen.

Spezielle Software kam zum Einsatz

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Männer mit einer speziellen Software dafür gesorgt haben, dass die Belege der Automaten gefälscht wurden. Auf den Belegen hat die Geldsumme zu stehen, die mit dem Gerät eingenommen wurde. Die mutmaßlichen Betrüger sollen geringere Summen ausgewiesen haben, um mit den manipulierten Quittungen weniger Umsatz- und Vergnügungssteuer zu bezahlen. Die fünf Männer im Alter von 35 bis 46 Jahren wurden festgenommen.

Ungewöhnlich ist der Weg, auf dem die Polizei den mutmaßlichen Tätern auf die Spur kam. „Wir hatten die Männer wegen gewerbs- und bandenmäßiger Hehlerei im Visier“, berichtet der Kriminalrat Andreas Taube über den Anfang der Ermittlungen vor mehr als einem Jahr. „Alles, was man im Laden mitgehen lassen kann“, hätten die Männer weiterverkauft, Alkohol und Zigaretten zum Beispiel, sagt der Dezernatsleiter, in dessen Bereich auch Diebstahl und Einbrüche fallen.

Bei der Observation und der Telefonüberwachung der Verdächtigen stießen die Beamten auf das weitaus größere Thema. Die Männer sprachen darüber, dass ein 37-Jähriger über die Software und Sachkenntnis verfügt, um die Automaten umzuprogrammieren. Um festzustellen, ob die Männer das in großem Stil taten, beobachtete die Polizei sie weiterhin und hörte Telefongespräche mit – insgesamt mehr als ein Jahr lang. Da es sich um den Verdacht des Steuerbetrugs handelte und zudem die Vermutung nahelag, dass die Männer gegen die Auflagen der Gaststättenbehörde verstießen, führte die Kriminalpolizei die Ermittlungen bald nicht mehr allein. „Wir müssen dann die anderen Behörden informieren“, sagt der Dezernatsleiter Taube.

Kooperation namens „Istasyon“

Die Polizei, das Finanzamt und das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt schlossen einen Kooperationsvertrag. Die Ermittlungskooperation hieß „Istasyon“ – das ist das türkische Wort für Bahnhof – aufgrund der räumlichen Nähe zur Untertürkheimer Station und der türkischen Wurzeln der Tatverdächtigen.

Die Arbeitsteilung ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen Delikte. Für die Ermittlung, wie und wer an den Automaten etwas verändert hat, ist die Polizei zuständig. Die Beamten lasen am Dienstag die Gerätedaten aus, um die Daten des tatsächlichen Umsatzes zu erheben, erläuterte Andreas Taube. Das Ergebnis interessiert das Finanzamt. Dessen Beamten gleichen nun ab, wie groß die Abweichung zwischen den abgegebenen Abrechnungen und dem tatsächlichen Umsatz beziehungsweise Gewinn der betriebenen Automaten waren. Die Gaststättenbehörde ist zuständig für die Erlaubnis, Automaten aufzustellen und Spielhallen zu eröffnen.

Spielbetriebe wurden geschlossen

Drei der durchsuchten Betriebe waren Spielhallen, die meisten Automaten standen jedoch in Gastronomiebetrieben und Imbissbuden. „Wir haben die Spielbetriebe geschlossen“, sagt Timo Luppold, Sachgebietsleiter für Gaststätten und Spielrecht. Durch die strafrechtliche Handlung habe sich der Inhaber als unzuverlässig erwiesen, einen Betrieb zu führen. Allerdings sei der gewerberechtliche Teil im laufenden Verfahren „ein sehr kleiner Anteil“.

Umso größer war am Dienstag der Aufwand für Polizei und Finanzamt. Körbeweise trugen die Ermittler Akten aus dem Betrieb in Untertürkheim. Fast den ganzen Tag brauchten sie, um Daten auszulesen, Automaten zu öffnen und das Kleingeld, das in den Behältern lag, zu zählen, schließlich ist jeder Euro Teil der Beweismittel. 150 Beamte – 80 Steuerfahnder und 70 Polizisten – waren allein in Stuttgart im Einsatz. Bei der Festnahme eines Tatverdächtigen war zur Unterstützung ein Sondereinsatzkommando dabei, weil die Polizei befürchtet hatte, der Mann würde sich gewaltsam wehren – tat er aber nicht.

Die nun anstehende Auswertung des Beweismaterials könne Monate dauern, sagt der Dezernatsleiter Andreas Taube.