Mit der überfälligen Sanierung des Stuttgarter Opernhauses ab 2019 beschäftigen sich in der kommenden Woche zwei Podiumsdiskussionen der SPD und Stuttgarter Bürger. Zum Vergleich lohnt sich der Blick auf andere Sanierungsfälle.

Augsburg/Karlsruhe/Stuttgart - Plötzlich ist Dampf im Kessel. Und plötzlich ist es da: das Millionenloch. Als es im Juni 2016 im Augsburger Baureferat mal wieder um den Brandschutz im Theater geht, entdeckt ein Gutachter auf Plänen des Zuschauerraums kleine Öffnungen unter den Sitzen. Flugs bohrt man im Garderobenfoyer unter dem Parkett ein Loch in die Decke, lenkt Rauch in den Saal – und staunt, dass dort sofort alles vernebelt ist. Entlüftung? Fehlanzeige.

 

Sechzig Jahre hat man von den Löchern im Boden des Nachkriegsbaus nichts gewusst, sechzig Jahre ist alles gut gegangen, auch wenn der Spielbetrieb zuletzt nur unter „befristeten Auflagen“ erlaubt war. Jetzt heißt es: Alles muss raus. Auf der Stelle. Seither spielt das Theater überall in Augsburg, nur nicht im Theater. Elf Premieren habe man jetzt an acht Orten herausgebracht, stöhnt die Intendantin Juliane Votteler. Die Sanierung des zu großen Teilen denkmalgeschützten Dreispartenhauses, von langer Hand geplant, startet nicht erst im Herbst 2017, sondern hat schon Ende 2016 begonnen: mit Leerstand. Das Theater ist ein Geisterhaus, nur als Probebühne wird es noch genutzt.

Der Regisseur Nigel Lowery nimmt derartige Umstände in seiner spontan ins nüchterne Mehrzweckambiente der Schwabenlandhalle verlegten Inszenierung von „Tosca“ noch mit augenzwinkernder Ironie: Bei ihm springt die Heldin zum Vergnügen des Publikums im dritten Akt nicht von der Engelsburg in den Tiber, sondern von einem Miniaturnachbau des Augsburger Bühnenturms. Votteler, die an der Stuttgarter Oper unter Klaus Zehelein Chefdramaturgin war, findet das Ganze weniger lustig. 1,8 Millionen Euro Defizit, hat sie ausgerechnet, entstehen ihrem Haus in dieser ungeplant ausgelagerten Theatersaison durch die jetzt erforderlichen Saalmieten und dadurch, dass die Verlegung in kleinere Spielstätten die Einnahmen schmälert.

Die Intendantin packt schon langsam die Koffer

Die Sanierung selbst wird zurzeit auf 189 Millionen Euro veranschlagt. „Eine sehr schlanke Lösung“, findet die Intendantin, auch weil es bei den Um- und Ausbauten keineswegs um so etwas wie eine aufwendige Kreuzbühnenkonstruktion gehe. Erreicht werden soll neben baulichen Erweiterungen vor allem bei den Werkstätten eine Anpassung des in den fünfziger Jahren entstandenen Hauses an die heutige Gesetzeslage – Brandschutz und arbeitsrechtliche Vorschriften. Das ist überall dort so, wo zurzeit Sanierungen geplant werden. Im Großen Haus in Augsburg sind außerdem die Bühnentechnik, Heizung, Klimaanlage, Wasserrohre und Elektrik veraltet, die riesigen Fenster im Foyer schreien geradezu nach einer energetischen Sanierung, und bei nur einem vorhandenen Aufzug konnte bis jetzt auch nicht wirklich von Barrierefreiheit die Rede sein.

Eigentlich wollte Juliane Votteler, die das Theater mit vielen erstklassigen Produktionen und einem extrem breiten Programm qualitativ weit nach oben gebracht hat, die ersten beiden Jahre der Umbauzeit noch aktiv mittragen, aber die städtische Politik unterstützte sie nicht. Während der Umbauphase, hieß es, brauche man Kontinuität im Leitungsteam des Theaters. So wird im Herbst André Bücker ins Büro der Intendanz einziehen.

Die amtierende Intendantin verbringt ihre letzten Monate nach zehn Augsburger Jahren damit, den Notstand auf möglichst kreative Weise zu gestalten. Wie das genau mit ihrem geplanten monumentalen Abschlussprojekt zum Augsburger Religionsfrieden funktionieren soll, weiß sie jetzt noch nicht. Später, also nach etwa fünf Jahren Sanierung, wird das Haus aber womöglich toll sein. Mit Werkstätten, die Platz haben und sich auf derselben Ebene befinden wie die Bühne. Mit einem Großen Haus, dessen Bühnenturm der Akustik für Orchesterkonzerte nicht entgegensteht. Mit einem Multifunktionsbau anstelle der Brecht-Bühne, die – selbst schon als Interimsspielstätte errichtet – 2018 abgerissen wird. Offener soll das Haus werden, gastronomisch bewirtschaftet, mit Foyers und Seitenbühnen, in denen sich auch andere, Kleinere, künstlerisch austoben können.

Ein Bürgerbegehren gegen all das, ja, das gab es; Stein des Anstoßes war vor allem die Tatsache, dass die Stadt für die Sanierung Kredite aufnehmen muss. An der Vermittlung der Sanierung nach außen hat man darum gearbeitet. Jetzt vermittelt sie sich aus dem Notstand heraus selbst. Schlimm nur, dass es so weit hat kommen müssen.

Dahin soll es nicht kommen, sagt Peter Spuhler, seit 2011 Intendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Sein Haus, in den Siebzigern erbaut, soll ab 2019 saniert werden: weil die veränderte Gesetzeslage Verbesserungen beim Brandschutz und bei den Arbeitsbedingungen einfordert, weil Rohre und Elektrik in die Jahre gekommen sind, weil das Haus aus allen Nähten platze. Auch „ideologische Fehler“, sagt Spuhler, seien bei dem Bau gemacht worden. Weil man seinerzeit angenommen habe, dass die Oper als künstlerische Gattung ein Auslaufmodell sei, habe man das Schauspiel provisorisch schon mal auf der Opernprobebühne angesiedelt – aber eben nur dort – und überhaupt „viele Funktionen in viel zu kleinen Räumen untergebracht“. Auch die damalige Entscheidung für das raumsparende Drehbühnensystem im Großen Haus habe sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Um- und ausgebaut müsse das Haus schließlich auch deshalb werden, weil in Karlsruhe endlich alles unter einem Dach sein solle. Dann könne effizienter gearbeitet werden, und die Kinder könnten dann ihr Theater an demselben Ort erleben, den auch die Erwachsenen besuchen.

Das Theater will sich nicht länger abschotten gegen die Stadt

Dass ein Theater sich nicht abschotten, dass es Teil der Stadtgesellschaft werden müsse – auch diese Idee prägt die Sanierung. Das derzeitige Karlsruher Haus wirkt wie ein Betonbollwerk. Auch die Stuttgarter Oper, findet Spuhler, sei „tagsüber einfach ein Palast, der abgeschlossen ist, bestimmte Bevölkerungsschichten fühlen sich da nicht eingeladen“. Auf den Plänen für das neue Badische Staatstheater sieht man deshalb weit geschwungene Glasfronten im Erdgeschoss und im ersten Stock, und zumindest auf dem Papier sieht das integrierte Restaurant ziemlich einladend aus. Ein Vorbild für all dies hat Spuhler beim Londoner National Theatre gefunden. Ähnlich wie dort stellt er sich das auch in Karlsruhe vor: mit WLAN zum Arbeiten im Foyer, mit Auftritten freier Ensembles, einsehbaren Werkstätten.

Im Großen Haus selbst sollen nur der Orchestergraben erweitert und der eiserne Vorhang versetzt werden. Ansonsten soll das Gebäude an drei Seiten aufgebrochen und erweitert werden, um Platz für Werkstätten, Probenräume und das Schauspielhaus zu schaffen. In vieler Hinsicht, betont der Intendant, sei der geplante Um- und Ausbau auch eine Rückbesinnung auf die nur aus Kostengründen veränderten ursprünglichen Pläne des „visionären“ Architekten Helmut Bätzner.

Der Karlsruher Intendant Peter Spuhler ist inzwischen ein Meister der Sanierung

Die Gesamtkosten veranschlagte man 2014 auf 125 Millionen Euro. Losgehen soll es 2019, mit der kompletten Inbetriebnahme wird aber frühestens 2027 gerechnet, weil man in Karlsruhe den Großteil der Maßnahmen im laufenden Betrieb durchführen will. Das dauert länger, ist für die Theaterleute anstrengender, erspart aber teure Interimslösungen. Nur in den letzten drei Jahren, wenn das Große Haus an der Reihe ist, wird man andernorts spielen. Wo das sein könnte, will Peter Spuhler jetzt noch nicht diskutieren. Schließlich endet sein Vertrag 2021, und falls er nicht sein eigener Nachfolger wird, solle der nächste Intendant nachdenken, ob er ein schon vorhandenes Gebäude oder lieber eine temporäre Interimsspielstätte nutzen will.

Spuhler hat schon das Heidelberger Theater bis 2012 als Intendant durch eine sechsjährige Schließungs- und Sanierungszeit begleitet. Dort entwickelte sich das Opernzelt zum Zuschauermagneten, und dort, sagt er, sei man (mit insgesamt 64 Millionen Euro) im Geld- und Zeitrahmen geblieben – „ja, das geht!“. Nützliche Erfahrungen hat Spuhler also von Heidelberg nach Karlsruhe mitgebracht. Zum Beispiel die, dass die Theaterleute unbedingt bei der Planung mitreden müssten, denn von ihren praktischen Erfahrungen könnten die Architekten nur profitieren, „und wir sind Meister der Improvisation“.

Außerdem müsse man das Projekt kommunizieren und dafür richtig Geld in die Hand nehmen: „Je mehr Informationen, desto besser!“ Die Theaterleute müssten außerdem rund um die Sanierung kreativ sein, also Geschichten erzählen und den Bau so vermitteln. Die Sanierung müsse zu einem Ereignis der Stadtgeschichte werden, „so wie in der letzten Bauphase der Elbphilharmonie. Da müssen die Leute hingehen und zuschauen wollen. Sonst denken sie immer nur an Kosten und Zeitverzögerungen.“