Der Brexit tut vor allem den jungen Menschen weh. Sie sehen sich um ihre Zukunft betrogen und wollen, dass ihr Land in der EU bleibt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

London - Einer der Schuldigen ist gefunden: das Glastonbury Festival. Während in Großbritannien über den „Brexit“ abgestimmt wurde, tummelten sich fast 200.000 meist junge Menschen auf der legendären Konzertveranstaltung in Südwesten Englands. Ihnen war das eigene Vergnügen offensichtlich näher als die demokratische Bürgerpflicht. Jetzt ist der Katzenjammer enorm: denn für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten vor allem die älteren Briten, die Jungen wären lieber Mitglied im Club der 28 geblieben.

 

Kluft zwischen den Generationen

Besonders deutlich lässt diese Kluft zwischen den Generationen ein Blick auf die Stimmen der 18- bis 24-Jährigen zu Tage treten. 75 Prozent dieser Altersgruppe haben für „Remaine“ gestimmt, besagt eine Analyse des Forschungsinstitutes Yougov. Zum Vergleich: bei den über 65-Jährigen ist es genau umgekehrt. Von ihnen haben sich über 60 Prozent für den „Brexit“ entschieden. Auch in der Altersgruppe darunter, den 50- bis 64-Jährigen, hat die deutliche Mehrheit gegen eine Zukunft Großbritanniens in der Union votiert. Meinungsforscher erklärten dies damit, dass die Alten ihr Land aus der guten alten Zeit zurückhaben wollen. Eine Zeit, in der das Leben noch unkompliziert und überschaubar schien.

Erst Enttäuschung, jetzt Wut

Bei Anne ist die Enttäuschung inzwischen der Wut gewichen. Am Tag vor der Abstimmung stand sie noch stundenlang in der Fußgängerzone von Newcastle und kämpfte mit Flugblättern gegen den „Brexit“. „Die Alten haben über unsere Zukunft abgestimmt“, ereifert sich die Studentin. „Dabei haben die meisten von ihnen doch ihr gutes Leben schon hinter sich.“ Anne, die mit einem europäischen Erasmus-Stipendium schon an der Sorbonne in Paris studiert hat, will, dass die Grenzen abgebaut und nicht neu errichtet werden. „Es ist doch ein Witz, in Zeiten der Globalisierung sich in sein kleines Schneckenhaus zurückziehen zu wollen“, argumentiert sie. Der „Brexit“ rüttelt an den Grundfesten ihrer Lebenseinstellung. „Wir sind in dem Glauben aufgewachsen, dass Großbritannien ein weltoffenes Land in einem Kontinent ohne Grenzen ist“, sagt Anne.

Selbst Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London und einer der führenden Figuren im „Brexit“-Lager hat diese Generationen-Schieflage erkannt. Am Tag nach der Abstimmung versuchte er, die Gemüter zu beruhigen. Die Jungen könnten nun „in eine sicherere und blühende Zukunft“ blicken, versprach er. „Die jungen Menschen könnten nun auf den Gedanken kommen, dass die Zugbrücken hochgezogen werden oder eine Zeit der Isolation beginnt“, fuhr er fort. „Aber ich bin überzeugt, dass genau das Gegenteil der Fall ist.“

Der Protest formiert sich

Die junge Generation scheint diesen Worten aber keinen Glauben zu schenken. Viele von ihnen machen im Internet ihrem Furor Luft. Unter den Hashtags #notinourname oder #notmyvote lassen sie ihrer Fassungslosigkeit freien Lauf. Am Wochenende versammelten sich mehrere Hundert junge Menschen zum Protest vor dem Parlament in London. „Unsere Zukunft, unsere Entscheidung“ steht darauf oder: „Ich bin nicht britisch, ich bei europäisch“.

Doch nicht alle jungen Leute haben gegen „Brexit“ gestimmt. Eine junge Stewardess hat für den Austritt ihres Landes votiert – und offenbart dabei die eigene Widersprüchlichkeit. Sie ist Britin, arbeitet bei der niederländischen Fluggesellschaft KLM, ihr Vater verdient sein Geld in Sunderland bei dem internationalen Autobauer Nissan. Warum sie für den Brexit ist, kann sie nicht schlüssig erklären. Es sei mehr so ein Gefühlt, sagt die junge Frau – doch am Tag danach hat sie ein sehr reales Problem. Sie wird in britischen Pfund bezahl, ihre meisten Ausgaben hat sie jedoch in Euro. Das heißt: sie verdient nun rund 30 Prozent weniger als vor der Abstimmung. Das habe sie, gesteht die junge Frau reichlich zerknirscht, natürlich nicht gewollt.