Am Sonntagabend will sich die Spitze der großen Koalition im Kanzleramt über die Flüchtlingspolitik verständigen. Dabei ist erhebliches Streitpotenzial in Sicht – wenn auch nur bei einzelnen sensiblen Themen.

Berlin - In vielen Punkten sind Union und SPD gar nicht so weit auseinander. Die Volksparteien scheuen sich bisher ohnehin noch davor, das Thema zu nutzen, um damit mit Blick auf die im Frühjahr anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Punkte zu sammeln. Man ist sich einig darin, weitere Staaten des Westbalkans zu sicheren Herkunftsländern erklären zu wollen und Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Abgelehnte Asylbewerber sollen schneller abgeschoben werden. Einen Dissens gibt es hier nicht.

 

Die Union will die Definition sicherer Herkunftsländer im Grundgesetz jedoch stärker präzisieren. Sie strebt an, alle Länder, deren Bürger in Deutschland zu 99 Prozent kein Asylrecht erhalten, zu dieser Kategorie zu rechnen. Volker Kauder, der Chef der CDU/CSU-Fraktion, versichert aber, er wolle „null Veränderungen“ am Asylrecht selbst. SPD-Vize Ralf Stegner wird in dieser Frage grundsätzlich. „Finger weg vom Grundgesetz“, twitterte er.

Poker um die Finanzierung

Im Wesentlichen wird es in den nächsten Tagen zunächst ums Geld gehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat bereits drei Milliarden Euro zusätzlich zur Unterstützung der Städte und Gemeinden aufgerufen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für ihren Etat weitere Milliarden locker macht. Bis zu 3,3 Milliarden Euro benötige sie 2016 für zusätzliche Sozialausgaben. Schäuble mag wenig begeistert davon sein, dass die SPD bereits vor dem Koalitionsausschuss am Sonntag und den ersten Etatverhandlungen kommende Woche mit Zahlen hantiert. Klar ist aber, dass er liefern wird, denn auch Kanzlerin Angela Merkel hat Hilfe in Milliardenhöhe versprochen. Die SPD befürchtet gleichwohl, dass Schäuble die frei werdenden Milliardenbeträge aus dem verfassungswidrig gestalteten Betreuungsgeld gegenrechnet. Die SPD will dieses Geld stattdessen in die Kita-Betreuung stecken.

Nach Kauders Ansicht verläuft die Debatte über die weitere Flüchtlingshilfe falsch. Sie werde „zu sehr von hinten her geführt“, sagt er. Zunächst gelte es zu klären, was zu tun sei, danach, wer dafür zuständig sein solle und welche Instrumente benötigt würden. Über die Finanzen müsse man sich erst am Ende verständigen. Auch die Union erhebt aber finanzwirksame Forderungen. Sie will etwa neue Stellen für die Bundespolizei. Konkret wird das aber noch nicht beziffert.

Union will Anreize streichen, SPD bremst

Strittig ist auch die Forderung aus den Reihen der Union, Asylbewerbern Sachleistungen statt Geld zukommen zu lassen. Die Union glaubt, dass damit der Anreiz aus der Welt wäre, etwa aus Albanien allein schon wegen des Taschengelds ohne jede Aussicht auf Asyl nach Deutschland zu kommen. Die SPD setzt dem entgegen, dass der bürokratische Aufwand bei der Verteilung von Sachleistungen die Versorgung am Ende teurer mache. Außerdem wird bei den Genossen darauf hingewiesen, dass Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Bundesrat der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer vergangenes Jahr nur unter der Bedingungen zugestimmt habe, auf die Ausgabe von Sachleistungen zu verzichten. Wolle man zur Beschleunigung der Verfahren weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklären, werde man abermals die Zustimmung Kretschmanns benötigen, der sich damit bei den Grünen viel Ärger einhandeln würde. Deshalb, so die Logik der SPD, solle man Vertragstreu bleiben. Inzwischen gibt es aber auch bei den Grünen Stimmen, die eine Rückkehr zu Sachleistungen befürworten. Entsprechend hat sich etwa Boris Palmer, der grüne Bürgermeister von Tübingen geäußert.

Streit wird es zudem über die Forderung der SPD nach einem Einwanderungsgesetz geben. Dieses hat im Grunde nichts mit dem Grundrecht auf Asyl zu tun. Aber die SPD glaubt, dass durch klarer gefasste Kriterien, wer als Fachkraft erwünscht ist und wer nicht, in den Herkunftsländern bei jenen weniger Illusionen aufkommen, die allein zur Arbeitssuche nach Deutschland aufbrechen. CDU-Chefin Angela Merkel hatte, anders als Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und die CSU kurzzeitig Sympathie erkennen lassen. Vergangene Woche jedoch schob sie das Projekt, wohl aus Sorge, ihre Partei zu überfordern, auf die lange Bank. Vorerst seien andere Probleme zu regeln, so Merkel. Das bekräftigt auch Fraktionschef Kauder: „Für ein klassisches Einwanderungsgesetz“, sagt er, „besteht im Moment keine Notwendigkeit und kein Bedarf.“