Erst Nein, jetzt doch. Nach einem Gespräch mit dem Bundespräsidenten willigt Martin Schulz ein, mit der Union über Wege aus der Regierungskrise zu reden. Entschieden ist damit nichts, denn vor der großen Koalition hat die Partei mindestens so große Angst wie vor den Wählern.

Berlin - Und sie bewegt sich doch. Die SPD will nun mit der Union über eine Zusammenarbeit reden. Völlig ergebnisoffen, wie SPD-Chef Martin Schulz am Tag nach seiner Zusammenkunft mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und nach einem daran anschließenden achtstündigen Debattenmarathon der engeren Parteiführung versicherte. Die Lage für die SPD ist damit zwar unverändert schwierig.

 

Aber Schulz hat zumindest den Versuch unternommen, der Falle zu entkommen, in die er sich selbst manövriert hatte. Denn am Montag nach dem Jamaika-Aus hatten er und mit ihm die gesamte Parteiführung eine große Koalition noch vor der ersten Einlassung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hastig ausgeschlossen und den Eindruck erweckt, Neuwahlen könnten aus ihrer Sicht gar nicht schnell genug ausgerufen werden.

Ist Schulz noch zu halten?

Steinmeier mahnte dann aber Minuten später das genaue Gegenteil an, die eigene Fraktion begehrte auf, der Schlamassel war perfekt. Manche argwöhnten gar, Schulz sei nun nach einer Reihe von kapitalen Management- und Personalschnitzern endgültig nicht mehr zu halten. Aber Schulz will nicht aufgeben, will sich am 7. Dezember auf dem SPD-Parteitag im Amt bestätigen lassen. Er kämpft. Und keiner traut sich, ihn zur Seite zu drängen.

Man habe, so Martin Schulz, „keine Staatskrise, aber Deutschland ist in einer komplizierten Lage“. In einem „dramatischen Appell“ habe der Bundespräsident deshalb „die Parteien aufgerufen, noch einmal über eine Lösung nachzudenken, zu ringen, weil man nicht einfach zu Neuwahlen kommen kann.“ Dazu muss man wissen, dass Steinmeier dem Vernehmen nach Schulz deutlich gemacht hat, dass er keinerlei Anstalten unternehmen werde, Neuwahlen zu ermöglichen. Dazu müsste er zunächst einmal die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel in drei Wahlgänge schicken. Er sei strikt gegen solche „Fake-Wahlen“ im Parlament, so wird Steinmeier sinngemäß wiedergegeben.

Zu dieser Erzählung passt, dass Steinmeier gleich am Morgen nachdem die SPD die Bereitschaft zu Gesprächen erklärt hatte, schon zu einer Runde mit den drei Parteichefs Schulz, Merkel und Horst Seehofer (CSU) ins Schloss Bellevue einlud. Nächste Woche soll das Gespräch stattfinden, vermutlich Donnerstag, ist zu hören, aber Genaues war zunächst nicht zu erfahren.

SPD wird Zeit einfordern

Im Vorgriff darauf klingt Schulz wieder ausgesprochen staatsmännisch. Oppositionsgetöse war gestern, nun ist er wieder ganz Europäer, der ja nun den Anruf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in dieser Woche nicht ignorieren und dessen Hoffnung auf ein stabiles Deutschland nicht enttäuschen könne. „Viele besorgte Anrufe unserer europäischen Freunde“ hätten ihn erreicht, so Schulz. Denen habe er versichert: „Die SPD ist sich ihrer Verantwortung für Deutschland, aber in besonderer Weise ihrer Verantwortung für Europa sehr wohl bewusst.“

So klingt keiner, der sich noch immer in Neuwahlen flüchten will. Aber Schulz weiß, wie schwer es sein wird, eine Neuauflage der großen Koalition in der Partei durchzusetzen. Deshalb wird die SPD Zeit einfordern, um die Basis langsam an das heranzuführen, was überwunden schien: ein Bündnis mit der Union. Schulz stellte klar, dass erste Gespräche zu nichts anderem dienten, als zur Bewertung der Lage. Es gebe „keinen Automatismus in irgendeine Richtung“. Und sollte die Parteiführung eine Beteiligung an einer Regierung ernsthaft erwägen, würden „die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen.“

Keine Sondierungen vor Weihnachten

Vor Weihnachten, heißt es, sei mit ernsthaften Sondierungen, nicht zu rechnen. Es sei ja noch nicht einmal klar, mit welchem Ziel verhandelt werden soll. Denn auch die Beteiligung an einer Minderheitsregierung wird noch nicht endgültig ausgeschlossen, auch wenn diese Variante als extrem unwahrscheinlich gilt. Ob außerdem wirklich Seehofer einer der Verhandlungspartner sein werde, müsse sich erst noch weisen.

Nach dem Gespräch mit dem Bundespräsidenten würden deshalb nun erst mal die Führungsgremien eine grobe Handlungsempfehlung erarbeiten, die dem wenige Tage später beginnenden Parteitag vorgelegt werden soll. Über Sondierungsgespräche soll der Vorstand entscheiden, über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ein kleiner Parteitag, über einen Koalitionsvertrag urteilen abschließend die Mitglieder. Der Preis werde für Merkel zwar extrem hoch sein, heißt es. Aber selbst dann, wenn sie zu zahlen bereit ist, sei die Zustimmung der Partei alles andere als gewiss. 2013 hatte man beim ersten Votum dieser Art noch den Mindestlohn als Beute anbieten können und das Versprechen, dass man sicher gestärkt aus den nächsten Wahlen hervorgehen werde. Ein ähnlich verlockender Köder ist diesmal nicht in Sicht, von der Bürgerversicherung mal abgesehen. Und dass die SPD in einer Koalition mit Merkel werde zulegen können, wird auch niemand mehr glauben.