Der Andrang auf die 60 verschiedenen Veranstaltungsorte der Stuttgartnacht am Samstagabend war groß. Auf dem Fernsehturm gab es ein ganz besonderes Angebot für die Liebhaber des Stuttgarter Wahrzeichens.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Stuttgart - Leise surrte die Nadel, mit der die Tätowiererin Billy Juros das Stuttgarter Wahrzeichen auf dem Unterarm einer Kundin verewigte. Die Silhouetten des Fernsehturms und der Grabkapelle Württemberg schließen sich nahtlos an die gestochene Herzlinie eines EKGs an. Es dauerte keine zehn Minuten, dann war das Tattoo fertig. Für die Kundin Yvonne Müller haben beide Orte eine besondere Bedeutung. „Mein Mann und ich sind häufig auf dem Fernsehturm und an der Grabkapelle, etwa an unseren Jahrestagen“, sagte sie. Als sie gelesen hatte, dass man sich im Rahmen der Stuttgartnacht in der Kanzel des Fernsehturms in 144 Meter Höhe tätowieren lassen kann, habe sie nicht lange gezögert. Es ist nicht ihr erstes Tattoo, verriet Müller. Ob das Stechen wehgetan hat? „Es wäre gelogen, wenn ich Nein sagen würde. Aber es war gut auszuhalten“, sagte Müller und betrachtete stolz das neueste Kunstwerk auf ihrem Körper.

 

„Der Fernsehturm ist das Wahrzeichen der Stadt Stuttgart. Er gehört einfach dazu“, sagte Tom Juros vom Tattoostudio Ink Station, der den Fernsehturm selbst am linken Zeigefinger trägt. Grund genug für ihn und seine Frau Billy, den Turm auf dem Turm an die Kunden zu bringen. Sieben Freiwillige hatten ihre Haut am Samstagabend in luftiger Höhe zur Verfügung gestellt. Wem die Nadel nicht geheuer war, der konnte auch die schmerzfreie Variante wählen und sich ein Klebetattoo des Fernsehturms auf den Arm kleben lassen. „So können sie sich schon einmal mit dem Gedanken eines Tattoos anfreunden“, sagte Tom Juros mit einem Augenzwinkern.

Anstehen für einen Blick durchs Teleskop

Vom Aussichtspunkt hoch über der Stadt ging es hinunter in den Kessel. 60 Veranstaltungsorte boten bei der vom Stadtmagazin „Lift“ organisierten 16. Stuttgartnacht ein buntes Kulturprogramm vom Kabarett über Film- und Theatervorführungen bis hin zu nächtlichen Stadtführungen. Eine davon führte vom Pavillon am Schlossplatz über zahlreiche Treppen zum Galateabrunnen am Eugensplatz. Von dem von Königin Olga gestifteten Brunnen bot sich den Spaziergängern ein schöner Blick auf die Innenstadt. Die stündlich angebotenen Stäffelestouren waren beliebt. Zwischen 100 und 150 Teilnehmer schnauften mit Oliver Mirkes die Treppenstufen hinauf. „Im Normalfall sind es so zehn, 15 Leute“, sagte der selbstständige Stadtführer, der sich auf die Stuttgarter Stäffele spezialisiert hat. Die meisten davon haben ihren Ursprung im Weinbau des 12. Jahrhunderts. „Weil die Hänge so steil waren, wurden sie terrassiert und die Weinbergstäffele angelegt. Sie sind der Vorreiter der heutigen Treppen“, erklärte Mirkes. Mit dem Bau von Wohnhäusern habe man die Stäffele zum Teil ausgebaut, um Verbindungswege zwischen den Straßenzügen zu schaffen.

Auf der Dachterrasse des Stuttgarter Rathauses standen die Besucher den Abend über Schlange, um einmal durch die Teleskope zu schauen, die die Sternwarte in der Nacht dort aufgestellt hatte. Mittels einer Handy-App konnten die Vereinsmitglieder sekundengenau voraussagen, wann ein Satellit am Himmel aufleuchtet. „Iridium-Flare“ nennen das die Fachleute. „Die Iridiumsatelliten fliegen auf genau berechneten Bahnen. Trifft die Sonne auf die Teile des Satelliten, reflektieren diese das Licht, und er leuchtet auf“, erklärte Vereinsmitglied Manfred Schlichte. Das konnte man sogar mit bloßem Auge erkennen. Überrascht vom großen Andrang waren die Mitglieder der Sternwarte nicht. „Aber wir freuen uns natürlich darüber“, sagte Christiane Lerch.

Ab Mitternacht legten die DJs auf

Während der Blick vom Rathausdach in den Himmel ging, widmete sich der Heslacher Friedhof dem Ende des irdischen Lebens, unter anderem mit einer festlichen Inszenierung des „Dia de los Muertos“, wie der Feiertag Allerseelen in Mexiko genannt wird. Aufreizender ging es im Frau Blum zu, in der Boutique Erotique im Stuttgarter Westen betörten Burlesquetänzerinnen bei Weitem nicht nur das männliche Publikum. Wer lieber selber aktiv werden wollte, konnte in mehreren Schnupperkursen von Tango Argentino bis Flamenco das Tanzbein schwingen.

Im Landtag sang derweil die Stuttgarter A-cappella-Gruppe Füenf eine Hymne auf die Schwaben, im Plenarsaal reimten die Poetry-Slammer. Als sich um Mitternacht die ersten Türen schlossen, öffneten sie an anderer Stelle. Zur Spätschicht legten zahlreiche DJs in den Clubs der Stadt auf, Bands spielten Livemusik. Von Hip-Hop bis Rockmusik fand jeder Nachtschwärmer etwas nach seinem Geschmack. Im Stuttgarter Rathaus standen die Bürgermeister selbst an den Plattentellern.