Weil ein chinesischer Tourist einen Diebstahl anzeigen wollte, soll er versehentlich in eine Flüchtlingsunterkunft eingewiesen worden sein. Woher der Mann kommt ist so unklar wie sein Aufenthaltsort. Eine Geschichte voller Widersprüche.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Die Geschichte klingt so gut, sie muss einfach erzählt werden. Sie ist in den letzten Tagen auch schon erzählt worden, meistens so: Da kommt ein Chinese nach Deutschland, mit dem Rucksack und ohne irgendwelche Sprachkenntnisse, und dann wird dem armen Tropf irgendwo zwischen Stuttgart und Heidelberg der Geldbeutel gestohlen. Der Mann will das melden, unterschreibt jedoch versehentlich einen Asylantrag und gerät in die Mühlen der Bürokratie. Flüchtlingsquartier hier, Erstaufnahmeeinrichtung dort, erst nach Tagen fliegt der Irrtum auf, einem aufmerksamen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sei Dank. Gute Geschichte. Nur: ob sie genau so geschehen ist, das steht in den Sternen.

 

Christoph Schlütermann ist Kreisvorstand beim DRK im nordrhein-westfälischen Dülmen, das dort das Flüchtlingsheim betreibt. Er ist der Kronzeuge in der Angelegenheit. Der „Dülmener Zeitung“ erzählte er zuerst, wie der gut gekleidete Mann auffiel zwischen all den Flüchtlingen. Wie man gemeinsam mit Hilfe einer Sprach-App und mit Hilfe eines Mitarbeiters aus einem Chinarestaurant herausbekam, was geschehen sei. Schlütermann muss die Geschichte dieser Tage vielen erzählen. CNN und die New York Times waren am Dienstag bei ihm. Ihnen allen sagt er, wie der Chinese erzählt habe, dass er in Italien spazieren gehen wolle. Man habe dem Mann Landkarten vorgelegt, da habe dieser auf Heidelberg gezeigt.

Der Mann ist tatsächlich in Heidelberg gewesen

In der Tat: der Chinese ist in Heidelberg gewesen. Am 6. Juli hatte er sich im Patrick-Henry-Village registrieren lassen. Woher er kam, das wissen die Behörden noch nicht. „Wahrscheinlich aus der Notunterkunft in Karlsruhe-Durlach“, sagt Irene Feilhauer, die Sprecherin des Karlsruher Regierungspräsidiums. Wer sich in Durlach melde, der werde meist am nächsten Tag mit dem Bus nach Heidelberg gefahren. Nun wäre schon das ein ungewöhnliches Vorgehen bei einer Diebstahlsanzeige, die Sprecherin erklärt dann aber auch, warum diese Version der Geschichte ihrer Ansicht nach nicht stimmen kann: „Bei der Registrierung ist ein Dolmetscher dabei“.

Unter Syrern und Afghanen in Heidelberg muss der Mann aus China nicht unbedingt aufgefallen sein: immerhin rund 40 chinesische Asylbewerber gibt es dort im Schnitt pro Monat, derzeit sind zehn Chinesen vor Ort – neben 1531 Menschen aus anderen Nationen. Mehr als den Personalisierungsbogen hat der Chinese dort nicht ausgefüllt. Das Computersystem hat ihm Dortmund als nächste Station zugewiesen. „Wir haben ihm eine Zugfahrkarte gegeben und den Pass abgenommen, das übliche Vorgehen“, sagt Irene Feilhauer.

Von Dortmund aus ging es nach Dülmen

Nach Angaben der Stadt Dortmund hat der Mann im dortigen Aufnahmelager eine Belehrung zum Asylantrag ausgefüllt – in chinesischer Sprache. Dann wurde er geröntgt. Von Dortmund aus ging es nach Dülmen. In Nordrhein-Westfalen ist die Bezirksregierung in Arnsberg zuständig für die Verteilung der Flüchtlinge. Das ganze funktioniert voll automatisiert: „Wir sehen die Menschen nicht persönlich“, sagt deren Sprecher Benjamin Hahn. Doch in Dülmen habe man sofort gesehen, dass der Chinese am falschen Ort sei, sagt Christoph Schlütermann. Wild gestikuliert habe der Mann, dort am 8. Juli klar zum Ausdruck gebracht: „Ich bin kein Asylbewerber, ich bin Tourist“. Ein Blick auf die Dokumente zeigt dem DRK-Vorsitzenden: der Chinese ist 31 Jahre alt, stammt aus der nördlichen Provinz Jilin und hat einen Einreisestempel vom Flughafen Stuttgart im Pass. Dass in Stuttgart keine Flieger aus China landen ist dabei kein Widerspruch. Wäre der Chinese in Moskau, Istanbul oder London umgestiegen, dann hätte er einen Stempel auf den Fildern bekommen.

Man habe den Chinesen erst einmal bei sich behalten, sagt Christoph Schlütermann, auch wenn man ihm klar bedeutet habe, dass er jederzeit überall hin könne. Doch die Originalpapiere waren erst einmal verschwunden. Die Frage nach dem was nun? ließ sich auch mit zahlreichen Telefonaten bei zahlreichen Behörden nicht klären. „Wir sind schon einiges gewohnt“, sagt Christoph Schlütermann, „das hier war neu“. Am 20. Juli ist der Chinese gegangen. Wohin? Niemand weiß es. Das chinesische Generalkonsulat in Frankfurt auch nicht. „Bei uns hat sich der Mann nie gemeldet“, heißt es von dort.