Polizisten in Baden-Württemberg unterliegen bei Großdemonstrationen auch weiterhin keiner Kennzeichnungspflicht. Die SPD hebelte dieses Vorhaben aus dem grün-roten Koalitionsvertrag aus. Dafür gibt es künftig einen Bürgerbeauftragten.

Stuttgart - Dieses Versprechen des grün-roten Koalitionsvertrags bleibt unerfüllt: „Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei so genannten Großanlagen einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizisten“, heißt es im Arbeitsprogramm, das sich Grüne und SPD nach dem Regierungswechsel 2011 gegeben hatten. Doch daraus wird zumindest in dieser Legislaturperiode nichts mehr werden. An Stelle der Kennzeichnungspflicht will Grün-Rot nun einen Bürgerbeauftragten kreieren, der ganz allgemein vermittelnd eingreift, wenn es zwischen Bürgern und Behörden zu Konflikten kommt. Daneben dient der Bürgerbeauftragte als Anlaufstelle für die Polizei; dies in einem doppelten Sinn: Polizisten können sich in dienstlichen Belangen an ihn wenden, er nimmt aber auch Beschwerden von Bürgern entgegen, die das dienstliche Verhalten einzelner Polizisten beanstanden wollen oder, so heißt es im Gesetzentwurf, „die Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme behaupten.“

 

Vorbild Rheinland-Pfalz

Die Regelung lehnt sich an das rheinland-pfälzische Vorbild an. Dort gibt es schon seit 1974 einen Bürgerbeauftragten, der auch als Beauftragter für die Landespolizei firmiert. Der rheinland-pfälzische Bürgerbeauftragte ist als Vermittler konzipiert, der immer dann angerufen werden kann, wenn Bürger sich missverstanden oder ungerecht behandelt fühlen. In Baden-Württemberg soll der Bürgerbeauftragte, der beim Landtag angedockt ist, vom Parlament auf Vorschlag der Regierung für acht Jahre gewählt werden. Er wird nach der Besoldungsgruppe B 3 bezahlt (Grundgehalt ohne Familien- und andere Zuschläge etwa 7500 Euro) und erhält zunächst drei Mitarbeiter.

Der Gesetzentwurf weist ihm die Aufgabe zu, „im Rahmen des parlamentarischen Kontrollrechts des Landtags die Stellung des Bürgers im Verkehr mit den Behörden zu stärken.“ Laut der Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann soll „der Bürgerbeauftragte einen niedrigschwelligen Zugang bei Problemen mit Behörden des Landes anbieten.“ Beschwerden gegen mögliches Fehlveralten von Polizisten sind also nur ein Teilbereich des Aufgabenspektrums des Bürgerbeauftragen.

Die Kennzeichnungspflicht war vor allem den Grünen ein Herzensanliegen gewesen: ein Nachhall des Streits um Stuttgart 21 und insbesondere des unglücklichen Polizeieinsatzes im Schlossgarten. Am Ende setzte sich indes die Obstruktionspolitik der SPD-Fraktion und des sozialdemokratischen Innenministers Reinhold Gall durch. Die SPD versteht sich traditionell als Anwalt der Polizei; der Landtagsfraktion saßen die beiden Polizeigewerkschaften im Nacken. Die zum DGB zählende Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die dem Beamtenbund angehörende Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) erkennen in der Kennzeichnungspflicht eine „Misstrauensbekundung gegen die Polizei.“ Dieser Meinung schließt sich die Opposition an. „Die Kennzeichnungspflicht gehört endgültig vom Tisch“, verlangt der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Er geht davon aus, dass die Grünen das Thema wieder aufrufen werden, sollten sie die Landtagswahl gewinnen: „Grün-Rot will die unter der Polizeireform und Überstunden leidende Polizei besänftigen, nach der Wahl aber zum großen Schlag ausholen.“

Andere Bundesländer kennen die Kennzeichnungspflicht

Das Landespolizeipräsidium hatte bereits ein Konzept für die Kennzeichnungspflicht entwickelt. Vorgesehen war eine fünfstellige nach dem Zufallsprinzip vergebene Nummer, der die Länderkennung „BW“ vorangestellt werden sollte. Diese Form der Kennzeichnung, die bereits in einem halben Dutzend Bundesländern Praxis ist, wahrt die Anonymität der Polizisten, von denen jeder mehrere Nummern zur Verfügung hat, die er in freier Wahl bei Großeinsätzen anstecken kann. Auch nach dem baden-württembergischen Konzept sollte Kennzeichnung nur in „geschlossen stehenden Einheiten“ sowie in den Alarmhundertschaften angewandt werden.

In Brandenburg ist die Kennzeichnungspflicht per Gesetz geregelt, in Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Hessen wurden Verwaltungsvorschriften erlassen. Nun kommt also als Kompromiss zwischen Grünen und SPD der Bürgerbeauftragte für Baden-Württemberg, der anders als in Rheinland-Pfalz aber nur Bürgerbeauftragter heißen darf und nicht auch Beauftragter für Landespolizei, weil Letzteres nach Ansicht der SPD wiederum als „Misstrauensbekundung gegen die Polizei“ verstanden werden könnte.