Die grün-rote Landesregierung will vermeiden, dass nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung immer mehr Fünft– und Sechstklässler sitzen bleiben.

Stuttgart - Der Ministerpräsident persönlich hat dem Kultusminister in der Landtagsdebatte zum Sitzenbleiben Nachhilfe geleistet. Als Argumentationshilfe hat Winfried Kretschmann (Grüne) dem Kultusminister Andreas Stoch (SPD) nichts weniger als die Landesverfassung zugesteckt, die Stoch auch sofort zitierte. Während die Opposition nicht so recht ihren Frieden damit machen kann, dass Eltern inzwischen das letzte Wort bei der Schulwahl haben, verwies Stoch auf Artikel 6 der Verfassung. Darin heißt es, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sei – ein schlagendes Argument für den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung.

 

Die CDU beklagte dennoch ebenso wie die FDP, dass Eltern offenbar häufig die falsche Entscheidung träfen, da sich die Zahl der Sitzenbleiber in den fünften Klassen an Realschulen seit 2011 versechsfacht habe und auch an Gymnasien deutlich mehr Fünft- und Sechstklässler sitzen blieben als früher.

Grüne und SPD konterten in der wie immer hitzigen Debatte mit den Sitzenbleibern in den neunten Klassen. Auch deren Zahl sei im vergangenen Jahr enorm gestiegen, diese Schüler seien jedoch alle mit verpflichtender Empfehlung an ihre Schulen gekommen. Laut Stoch lag die Nichtversetztenquote an den achten Klassen der Realschulen bei 4,6, in den neunten Klassen sogar bei 6,6 Prozent.

Bessere Beratung in der Grundschule

Die CDU klagte zum wiederholten Male, dass die grün-rote Koalition die verpflichtende Empfehlung überstürzt abgeschafft habe, zumindest die FDP würde die Entscheidung aber nicht sofort revidieren. Bei Eltern und Lehrern finde die aktuelle Regelung große Akzeptanz, heißt es von Lehrerverbänden. Beiden Oppositionsparteien missfällt, dass die Lehrer der weiterführenden Schulen nicht mehr über den Inhalt der jetzigen Empfehlungen informiert werden dürfen. Dies zurückzunehmen, hält der Kultusminister jedoch für eine Pseudolösung. Auch die Regierung will die Eltern vor falschen Entscheidungen bewahren. Stoch verwies darauf, dass das Beratungsverfahren an den Grundschulen ausgebaut und die Lehrer entsprechend fortgebildet würden. Eine bessere Beratung hatte auch die CDU gefordert. Vom neuen Schuljahr an soll es außerdem an den fünften Klassen der weiterführenden Schulen zu Beginn des Schuljahrs Lernstandsdiagnosen geben, kündigte Stoch an. Daraus sollen die Lehrer das Leistungsniveau der Schüler erschließen und die Förderung darauf aufbauen.

Die Schüler sollen an der Schule gefördert werden, an der sie sind, postulierte Stoch für die Landesregierung. Besonders an den Realschulen sehen Grüne und SPD Nachholbedarf. Stoch bestätigte in der Landtagsdebatte, dass die Regierung im kommenden Schuljahr die Anzahl der sogenannten Poolstunden an den Realschulen von 2,2 auf sechs erhöhen werde. Diese Stunden können die Schulen frei verwenden, zum Beispiel zur individuellen Förderung. Einen entsprechenden Beschluss habe die Kommission für Haushalt und Verwaltungsstruktur bereits getroffen. Im Frühjahr will die Regierung einen Nachtragshaushalt für die Bildung verabschieden, in dem unter anderem die dafür notwendigen Stellen verankert werden sollen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) plädiert für eine sachliche Debatte über das Thema Sitzenbleiben. Eltern sollten ihre Kinder nicht überfordern, Schulen in die Lage versetzt werden, die Kinder angemessen zu unterstützen. Die GEW-Landeschefin Doro Moritz erklärte, die Realschulen bräuchten mehr als die ihnen versprochenen 500 zusätzlichen Stellen. Darüber gab es im Landtag Kontroversen. Georg Wacker (CDU) argwöhnte, Stoch wolle dieses Versprechen brechen. Der Minister sieht die Zahl als rechnerische Größe, die sich aus dem sukzessiven Aufwuchs der Poolstunden ergebe.