Die ersten Tage der grün-roten Regierung sind geprägt von Neuanfängen. Die meisten gelingen, weil bisher nur wenige vergrätzt worden sind.

Stuttgart - Winfried Hermann hat am Dienstag eine halbe Premiere gefeiert. Bei seinem ersten offiziellen Auftritt vor der Landespresse verleiht der grüne Verkehrsminister an der Seite von Ministerpräsident Winfried Kretschmann seiner Freude über die große Resonanz Ausdruck. Im übervollen Mosersaal im Landtag erzählt Hermann von alten Zeiten. Bei seinen ersten Pressekonferenzen als Landtagsabgeordneter in den 80er Jahren "war vielleicht ein einziger Journalist da". Jetzt könne er sich vor Interviewwünschen nicht mehr retten, und alle interessiere nur eines: S 21. Überhaupt die Medien: er habe nichts zurückzunehmen. Übernahme der Ausfallkosten für die Bahn, falls S 21 scheitert? Er habe nichts anderes vertreten als die "klare einheitliche Position" der Landesregierung. Tempolimits? Nur wenn Lärm- oder Emissionsschutz das notwendig machen. Alles andere sei der "widersprüchlichen Medienlage" geschuldet. Irritationen über seine Äußerungen der vergangenen Tage lächelt Hermann einfach weg.

 

Grundsätzlich will er jedenfalls klären, dass er auch andere Themen kennt. Sein erster öffentlicher Termin als Minister war die Jahreshauptversammlung des ADAC. Sein erstes Fotoshooting mit Jutta Benz, der Urenkelin des Autoerfinders Carl Benz. Bei dieser Gelegenheit konnte er sogar in einem langen Grußwort das Gesamtkonzept der Regierung zum Automobil darlegen, berichtet er erfreut. "Blöd nur, dass das in Mannheim war und hier in Stuttgart was anderes interessiert hat." Er wolle nicht als "Obergegner von S21" wahrgenommen werden, beteuert Hermann. "Ich bin nicht mehr die Bewegung, schon gar nicht ihre Speerspitze. Ich bin jetzt in der Landesregierung und habe eine andere Funktion."

Der Regierungschef vertraut seinem Minister

Jetzt ist er Mitglied des Lenkungskreises, der über die Zukunft des Bahnprojekts bestimmt. Viele hätten lieber Kretschmann in dem Gremium gesehen. Doch der Regierungschef vertraut seinem Minister: "Derjenige soll in den Lenkungskreis, der sich dauernd mit dem Thema beschäftigt." Der MP komme hinzu, wenn es brenne. Er könne sich nicht um alles kümmern.

Wie viele Premieren, große und kleine, Winfried Kretschmann seit seinem Amtsantritt vor zwei Wochen hinter sich gebracht hat, wird er nicht gezählt haben. Vergangene Woche entfaltete der neue Landesherr zum ersten Mal das Gepränge eines Staatsempfangs: Roter Teppich, Neues Schloss, Staatslimousinen. Mittendrin Kretschmann, im schwarzen Anzug mit ungewohnt elegantem Schuhwerk. Das Auto des paraguayischen Staatspräsidenten Fernando Lugo Méndez hält unter dem Vordach. Händeschütteln, warme Worte, Blitzlichtgewitter. Kretschmann führt die paraguayische Delegation hinauf in den Marmorsaal des Neuen Schlosses, wo sich Staatspräsident Lugo in das Gästebuch des Landes einträgt. Dienstbare Geister reichen Kaffee in goldgeränderten Tassen und Maultaschenschnitten auf kleinen Spießen auf goldgeränderten Tellern. Ein paraguayischer Marinemilitär in Galauniform mit goldfarbenen Bändern auf der Brust beobachtet regungslos die Szenerie. Auch Rudi Hoogvliet, der Sprecher der Landesregierung, kann sich der Würde des Augenblicks nicht entziehen und zeigt sich mit Krawatte. Das erste Mal wieder seit fünf Jahren, schätzt Hoogvliet.

Lugo stammt aus einer Oppositionellenfamilie, die unter dem diktatorischen Regime von Alfredo Stroessner litt. 2005 beendete Lugo die 61-jährige Herrschaft der Colorado-Partei in einer demokratischen Wahl. Da habe es Kretschmann nach 58 Jahren demokratischer CDU-Regierungszeit doch einfacher. "In diesem Teil der Welt", sagt Lugo und meint Baden-Württemberg, sei es "viel leichter eine Regierung zu übernehmen und gut zu regieren".

Reinhold Gall, früher Handwerker, kommt gut an

 Einen guten Start erwischt hat jedenfalls der neue Innenminister Reinhold Gall. Gleich am Tag seiner Vereidigung hatte der künftige Chef von Polizei und Katastrophenschutz in seinem Haus Eindruck gemacht, weil er als aktiver Feuerwehrmann an einem Löscheinsatz teilgenommen hatte. Der SPD-Mann, dem Allüren gänzlich fremd sind, nimmt sich Zeit, sich bekannt zu machen. Am Montag tourt er drei Stunden durch zwei Abteilungen seines Hauses. Vergangene Woche machte er fast zwei Stunden lang Besuche in der Abteilung eins. In manchen Büros findet er zu seinem Erstaunen Fotos der neuen Landesregierung. "Wie kommt einer mit so einem Bart in den öffentlichen Dienst", witzelt er in der Registratur, als er ein altes Bewerberfoto aus einer Personalakte zieht.

In der Servicestelle lässt sich der Minister einen Kugelschreiber aushändigen, einen von den hochwertigen, aber die Mine muss ausgewechselt werden. Blau muss sie sein, denn schwarz geht beim roten Innenminister gar nicht. "Bei allen hat er einen hervorragenden Eindruck gemacht", ist eine Mitarbeiterin begeistert. Sehr freundlich sei der neue Chef, "er geht offen auf die Leute zu". Dass seit dem kurzen Intermezzo von Lothar Späth 1978 im Innenministerium auch mal wieder einer Innenminister ist, der kein Dr. jur ist, das allein verschafft dem gelernten Fernmeldehandwerker Sympathien, berichtet sein Sprecher, ganz besonders im mittleren Dienst.

Arbeitsministerin Katrin Altpeter hat ein Heimspiel

Noch wärmer, ja geradezu freundschaftlich ist die Stimmung am Montag im Haus der Katholischen Kirche beim Auftritt der neuen Sozialministerin Katrin Altpeter. Es ist, als freue sich ein alter Freundeskreis über die Beförderung einer der Ihren oder auch von zweien. Zur Landestagung der Landesstelle für Suchtfragen sind Altpeter und auch die grüne Sozialpolitikerin Brigitte Lösch als frischgebackene Vizepräsidentin des Landestags gekommen, um Grußworte zu sprechen. Ihnen folgt am Rednerpult Ulrich Fellmeth nach, der Vorsitzende des Ligaausschusses Kinder, Jugend, Familie. Und er gerät vor den rund 100 Sozialpädagogen ins Schwärmen: "Wer hätte sich das träumen lassen, dass sich diese Phalanx von Expertinnen so wichtige Posten teilen." Fellmeth räumt ein, "vor der Wahl haben einige in der Kinder- und Jugendhilfe davon geträumt, dass die neue Sozialministerin entweder Katrin Altpeter oder Brigitte Lösch heißt". Aber "es konnte nur eine werden". Da gibt auch der Gastgeber seine mühsam gewahrte Zurückhaltung auf. "Ich werde keine großen Erwartungen an die Landesregierung formulieren, aber wir hoffen, dass wir in der Kommunikationsbasis deutliche Fortschritte machen. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass das mit Ihnen gelingen wird", sagt Hansjörg Böhringer, der Vorsitzende der Landesstelle, und reiht sich ein in die Riege der Strahlemänner, die sich freuen, als hätten sie selbst die Wahl gewonnen. Sozialpädagogen lieben Sozialdemokraten. Das weckt Erwartungen.

Die neue Ministerin weiß durchaus, dass sie ein Heimspiel hatte. "Ich kenne da alle Akteure", sagt sie und verlässt trotz aller Freundschaft die Veranstaltung nach der gut einstündigen Anstandsfrist. Der Sozialbereich ist weit verzweigt. Es gibt viele Metiers, in denen sie noch nie war. Und überall seien die Erwartungen an eine Sozialdemokratin höher als an andere, sagt Katrin Altpeter und zieht die Stirn in Falten. Sie weiß, dass eine Ministerin für alle da sein muss. Es allen recht zu machen ist aber schwer. In ihrem Haus gab es durchaus Nickligkeiten. Der scheidende Staatssekretär Dieter Hillebrand (CDU) mokierte sich per Rundschreiben im Sozialministerium darüber, dass sein Türschild zu früh ausgetauscht worden sei, und zwar am 11. Mai, dabei sei er doch bis 12. Mai im Amt gewesen. Da habe sich wohl ein devoter und kleinkarierter Geist bei den neuen Herren vorsorglich beliebt machen wollen, argwöhnt Hillebrand. Seinen Nachfolger kann er nicht meinen. Es gibt keinen Staatssekretär mehr im Sozialministerium.

Theresia Bauer weiß viel zu kritisieren an der Uni

 Weltläufig und feierlich wie kein anderes Haus hat dagegen das Wissenschaftsministerium den Wandel vollzogen. Der Marmorsaal im Neuen Schloss bildet am Montag die Kulisse für die Verabschiedung von Minister Peter Frankenberg und die Amtseinführung von Ministerin Theresia Bauer. Wenig verwunderlich, dass auf offener Bühne nicht mit Lob gespart wird. Doch daneben sind Bedenken gegenüber Theresia Bauer vorstellbar, die als führende Kritikerin der bisherigen Hochschulpolitik des Landes gilt und jetzt ebendieses Ministerium übernimmt. Doch die Anwesenden sehen die Sache professionell. "Viele Kritikpunkte Bauers decken sich mit der Haltung der Pädagogischen Hochschulen", sagt etwa Ulrich Druwe, der Rektor der PH Freiburg. Das Studiengebührengesetz wird eingestampft. Ein führender Jurist meint gelassen, ihn habe auch niemand gefragt, was er davon gehalten habe, als er das Gesetz ausgearbeitet habe. Weniger souverän sind die Rektoren. Sie pochen darauf, dass das Land ihnen die entgangenen Einnahmen ersetzen müsse. "Volle Kompensation ist für die nachhaltige Qualität in der Lehre unbedingt erforderlich", macht Horst Hippler vom Karlsruher Institut für Technologie, KIT, unmissverständlich klar.

Dass Bauer zehn Jahre lang als hochschulpolitische Sprecherin der Grünen stets Frankenbergs Leitbild von der unternehmerischen Hochschule kritisiert hat, ist den Rektoren auch noch im Ohr. "Man darf Hochschulen nicht mit Wirtschaftsunternehmen verwechseln, aber das Verharren in starren Strukturen ist nicht mehr möglich", warnt Hippler für die Rektoren. "Die Verantwortung für die Sicherung der Exzellenz liegt bei Ihnen, Frau Bauer", weist der Karlsruher der Wissenschaftsministerin ihre Rolle zu. Man kennt die neue Frau an der Spitze - und schätzt sie. "Kenntnisreich, engagiert" und vor allem "nicht unbedingt dogmatisch", das sind die Eigenschaften Bauers, auf die Hippler und alle Rektoren zählen.

Aufmerksam haben die Studentenvertreter Laura Maylein und ihr Freiburger Studienkollege Vincent Heckmann vom Asta Bauers Rede verfolgt und sind enttäuscht: "Der Begriff Studierende ist gar nicht vorgekommen." Dabei wolle man doch jetzt die langjährige Oppositionshaltung verlassen und zu einem konstruktiven Dialog mit dem Ministerium kommen, sagt Heckmann. "Wenn die Wahlversprechen umgesetzt werden, dann sieht's wieder besser aus für die Studierenden." Dann fallen die Studiengebühren, dann wird die verfasste Studierendenschaft wieder eingeführt.

"Wenn es schon einen Regierungswechsel gibt, dann haben wir gehofft, dass er in diese Richtung geht und Bauer das Ministerium übernimmt", sagt der Freiburger Rektor Hans-Jochen Schiewer. Er lässt auch nicht gelten, dass in manchen akademischen Kreisen der Mensch erst bei der Habilitation beginne. Ob Magistra Bauer sich mit hierarchisch gesinnten Würdenträgern schwertun wird? "Das macht sie mit ihrer Persönlichkeit wett", meint ein Ministeriumsmitarbeiter. "Sie kann denen mit Charme und Witz Paroli bieten."

Franz Untersteller bekommt ganz neue Mitarbeiter

Im Wirtschaftsministerium herrscht noch immer der emotionale Ausnahmezustand. Das Haus ist durch den Regierungswechsel "unter den Häcksler gekommen", wie sich einer der 400 Mitarbeiter drastisch ausdrückt. Auf vier neue Herren müssen sich die Mitarbeiter einstellen. Ein Großteil kommt ins neue Finanz- und Wirtschaftsministerium zu Superminister Nils Schmid. Die Beamten fürchten, dass die Wirtschaft dort nur die zweite Geige spielen wird. Das Finanzministerium sei doch "sehr formal geprägt", berichtet ein Beamter, man selbst sei da im Wirtschaftsministerium fast anarchistisch. Andere Kollegen gehören in Zukunft zum Umweltministerium. Sie machen sich Sorgen, ihre Netzwerke zählen nicht mehr viel. Die dritte Gruppe kommt zum Ministerium für Verkehr und Infrastruktur. "Niemand weiß, wer wann wohin umzieht, keiner weiß etwas Genaues", berichtet ein Mitarbeiter.

Die Minister Schmid, Franz Untersteller und Hermann haben bereits ihre Antrittsbesuche gemacht. Das kommt gut an. Untersteller würde als Chef des alten Wirtschaftsministeriums ohnehin Integrationsschwierigkeiten bekommen. Seine Abschlussarbeit schrieb er einst über "die Bedeutung der Rheinaue zwischen Wyhl und Weisweil aus der Sicht der Regionalplanung und deren mögliche Gefährdung durch eine Industrieansiedlung". Mit der Industrieansiedlung war das Atomkraftwerk Wyhl gemeint, aber das durfte der jetzige Umweltminister damals im Titel nicht erwähnen. Damals war das Wirtschaftsministerium eher angetan von dieser "Industrieansiedlung".

Besonders frustriert sind die Touristiker im Wirtschaftsministerium. Ihr neuer Chef, Agrarminister Alexander Bonde, war noch nicht da: "Wir werden nur im Organigramm hin und her geschoben." Allerdings handelt es sind um ein kleines Referat mit fünf Personen. So ist es eben auch: Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.