Der Nahverkehr im Land soll besser werden. Dazu plant die Regierung auch eine Finanzreform. Die folgt zwar EU-Recht, hat trotzdem starken Protest ausgelöst.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Dem baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann ist fast kein Superlativ zu stark, um die Bedeutung der Neuerung zu beschreiben, die das Landeskabinett gerade beschlossen hat und die der Grüne am Montag der Öffentlichkeit präsentiert. Er spricht von einem der „größten Reformprojekte“ der grün-schwarzen Koalition und einem der wichtigsten Vorhaben in der Verkehrspolitik. Ein ähnlich großes Rad, so Hermann, habe einst der Bund gedreht, als er vor 20 Jahren den Ländern die Mittel für den Regionalverkehr in die Hände gegeben habe. Vergleichbares hat nun das Land vor, allerdings eine Ebene tiefer, und das hat starke Widerstände hervorgerufen. Die waren in der vergangenen Legislaturperiode so groß, dass das Vorhaben vorerst scheiterte. Die Lobby der Busunternehmen hatte nämlich damit gedroht, die Stuttgarter Innenstadt lahmzulegen, sollten die Pläne umgesetzt werden.

 

Nun wurde nachgearbeitet, sodass Hermann hofft, die Reform im Konsens mit allen Beteiligten durchzusetzen. Die Thematik ist freilich kompliziert. Es geht um relativ viel Geld – momentan 200 Millionen Euro im Jahr. Die stammen aus dem kommunalen Finanzausgleich und sollen Einnahmeverluste ausgleichen, die etwa Busunternehmen durch die Rabatte für Schülerkarten entstehen. Die Mittel fließen zur Zeit vom Land direkt zu den Verkehrsunternehmen. Das wird sich zum 1. Januar ändern, vorausgesetzt der Landtag fällt die entsprechenden Beschlüsse. Künftig erhalten die Landkreise und kreisfreien Städte das Geld. Sie könnten dann selbst den Ausbau des ÖPNV gestalten, sagt Hermann. Grün-Schwarz erwartet sich zum einen Verbesserungen. Das Angebot solle größer und verlässlicher werden, vor allem auf dem flachen Land gebe es Nachholbedarf.

Das Europarecht erzwingt den Wandel

Zum anderen erzwinge das Europarecht diesen Wandel, erklärt Hermann. Denn die Mittel zum Ausgleich der Schülerbeförderung seien seit 2007 als Pauschale bezahlt worden. Damit sei vielfach der Wettbewerb ausgeschaltet. Neue Anbieter hätten keine Chance mehr gehabt, zum Zuge zu kommen. „Das lässt das EU-Recht nicht zu“, betont der Minister. In der Zukunft werde es öfter Ausschreibungen auf kommunaler Ebene geben. Hermann weiß, dass viele kleine Busunternehmen besorgt sind, dabei den Kürzeren zu ziehen. Diesen Bedenken trägt die Politik mit zwei Maßnahmen Rechnung. Erstens fließt mehr Geld. Von 2021 an wird der bisherige Betrag in drei Stufen aufgestockt. 2023 werden es dann 250 Millionen Euro sein. Zweitens sagt Hermann einen ÖPNV-Pakt im Sinne eines Mittelstands-Paktes zu. Unter anderem will er den Kommunen und Kreisen helfen, „mittelstandsfreundliche“ Ausschreibungen zu erstellen. Diese könnten Standards enthalten und etwa Tarifgehälter für die Fahrer oder bestimmte Ausstattungen von Bussen zur Bedingung machen.

Anreize für Verbesserungen will Grün-Schwarz dadurch geben, dass das Geld nach einem bestimmten Schlüssel verteilt wird. Der soll Kriterien gewichten wie die Einwohnerzahl, die Fläche eines Kreises oder die Zahl der Fahrgäste. Über diese entscheidenden Details ist aber keine Verständigung erreicht. Darüber werde noch gestritten werden, prognostiziert der Verkehrsminister. Die großen Städte etwa, die bisher beim ÖPNV in der Regel gut aufgestellt seien, würden sicher alles tun, um am Ende nicht zu den Verlierern zu zählen. Hermann weist auch darauf hin, dass es lange Übergangsfristen gibt. So hätten die Kreise und Kommunen jetzt viel Zeit eine entsprechende Gesamtkonzeption für den öffentlichen Nahverkehr zu erarbeiten.

Die Oppositon zeigt Verständnis

Die Opposition hat derweil Verständnis für die Reform. Die Kommunalisierung sei schon aus europarechtlichen Gründen angesagt, betont Martin Rivoir von der SPD. Der Landtagsabgeordnete meint allerdings, dass weiterhin zu wenig Geld ins System fließt. „Die geplante Erhöhung ist ein Nasenwasser, und sie kommt zu spät.“ Angesichts der Diskussion um Klimaschutz und Fahrverbote sei damit eine Chance zur Stärkung des ÖPNV verpasst. „Ich bin verwundert, dass sich die Kreise und Kommunen damit haben abspeisen lassen.“ Die FDP begrüßt dagegen die Aufstockung der Mittel, hält die Kommunalisierung aber für zweifelhaft. Womöglich leide nun die mittelständische Struktur der Branche, sagt der Fraktionsvize Jochen Haußmann: „Wir wollen nicht, dass die Busunternehmer zu Lohnkutschern werden.“