Vor den entscheidenden Jamaika-Sondierungsrunden zeigt sich der Grünen-Chef gegenüber Union und FDP kompromissbereit – wenn diese es auch sind. Überraschend beweglich zeigt sich Özdemir beim Thema Auto.

Berlin - Die Gespräche über eine „Jamaika“-Regierung gehen in ihre heiße Phase. Im Interview redet Grünen-Chef Özdemir über den schlechten Start und mögliche Gemeinsamkeiten.

 
Herr Özdemir, im Fußball spricht man vom erwartet schweren Spiel? Haben Sie geahnt, dass es so kompliziert wird mit „Jamaika“?
Dass es schwer wird, war klar. Manchmal habe ich mich gefragt, ob für Fouls in den Sondierungsgesprächen nicht auch ein Videobeweis hilfreich wäre. Aber wahrscheinlich würde das den Streit nur verlängern wie aktuell in der Bundesliga.
Es sieht nicht gut aus bisher, oder?
Wir führen Gespräche, die sich keiner von uns gewünscht hat. Wir haben gerade eine Phase erlebt, in der manche den anderen Partnern offenbar möglichst schmerzhaft zwischen die Beine grätschen wollten. So funktioniert das nicht. Jetzt müssen sich alle aufeinander zubewegen.
FDP-Chef Christian Lindner setzt Sie lieber mit möglichen Neuwahlen unter Druck.
Wir brauchen eine handlungsfähige proeuropäische Regierung in Berlin. Wer jetzt leichtfertig über Neuwahlen spekuliert und unverantwortlich mit dem Wählerwillen umgeht, holt die Krise nach Europa und damit auch nach Deutschland zurück.
Liberale treibt die Sorge um, dass ihre Handschrift in einem Koalitionsvertrag nicht erkennbar ist und sie die Fehler der schwarz-gelben Regierungszeit wiederholen.
Angst ist kein guter Ratgeber. Alle Parteien müssen sich wiederfinden. Ich sehe genug Spielraum für alle, um sich mit Inhalten zu profilieren. Dazu braucht es aber Bereitschaft aller, Kompromisse einzugehen.
Wo darf die Konkurrenz glänzen?
Die FDP kann mit uns gemeinsam die notwendige Modernisierung durchsetzen bei der Infrastruktur, bei den Netzen für Daten, Strom und Verkehr. Bei der Bildung steht schon einiges auf der Habenseite – von verbesserten Lehr- und Lernbedingungen an unseren Schulen bis hin zu einem erneuerten Hochschulpakt. Diese Anliegen einen uns. Es kann eine steuerliche Entlastung geben. Uns ist wichtig, dass gerade die kleinen und mittleren Einkommen profitieren. Der CSU bieten wir an, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass sich Menschen in ländlichen Räumen nicht abgehängt fühlen. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass es mehr Ordnung im Asylsystem gibt.
Das hört sich gut an, harte grüne Zugeständnisse sind das aber auch noch nicht.
Ich bitte um Verständnis, dass ich die Verhandlungen am Verhandlungstisch führe. Aber ich signalisiere gerne: Wir sind bereit, Brücken zu bauen und laden die anderen Partner ein, mitzubauen. Erfolgreich werden wir aber nur sein, wenn alle zusammen anpacken. Nehmen Sie die Verkehrswende. Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können. Wir müssen natürlich jetzt den Pfad ebnen für die emissionsfreie Mobilität mit verbindlichen Maßnahmen. Die Autoindustrie wird so oder so den Schalter umlegen, das muss eine neue Bundesregierung unterstützen und gerne beschleunigen. Ich wünsche mir ein klares Bekenntnis, dass wir alles dafür tun, um die Fahrzeuge der Zukunft – vernetzt, automatisiert und emissionsfrei - zu bekommen. Da muss es konkrete Schritte geben.
Welche sollten das sein?
Das heißt zum Beispiel, dass wir beim Dienstwagenprivileg ökologische Anreize setzen und bei der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-System zugunsten der Elektromobilität schaffen. Und ich erwarte, dass die Gerichtsurteile zu den Stickoxidemissionen umgesetzt werden, damit wir die Städte sauber bekommen.
Und wie sieht es bei der Steuerpolitik aus?
Bei den Steuern wissen wir, dass es für die FDP wichtig ist Profil zu zeigen. Das darf nicht auf Kosten von Zukunftsinvestitionen gehen. Das vollständige Auslaufen des Solidaritätszuschlags entlastet besonders die höheren Einkommen. Wir brauchen aber gezielte Entlastungen für untere und mittlere Einkommen.
Müssen Union und FDP beim Klimaschutz flexibel sein und die Grünen bei Migration?
So funktioniert das nicht. Jedes Thema steht für sich. Wir brauchen eine gute Lösung beim Klimaschutz. Das beinhaltet die Zusage, bis 2020 insgesamt 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen als 1990. Wer dieses Ziel in Frage stellt, der steht zu den längerfristigen erst recht nicht.
Und beim Asyl?
Wir wissen schon, dass das für CDU und CSU von größter Bedeutung ist. Aber eben auch für uns. Auch da müssen sich alle bewegen. Wir könnten über ein Einwanderungsgesetz eine Entlastung beim Asyl schaffen und dafür sorgen, dass schneller das Land verlassen muss, wer hier keine Bleibeperspektive hat. Klar ist für uns: Für eine bessere Integration müssen wir die Familienzusammenführung wieder ermöglichen. Da geht es um eine sehr überschaubare Zahl von Menschen, die doch auch nicht alle auf einen Schlag kommen werden. Da wünsche ich mir von den anderen Parteien mehr Realismus.
Wie wollen Sie Christian Lindner beim Klimaschutz überzeugen?
Ich würde ja mit Christian Lindner gerne mal die Mittelständler in Baden-Württemberg besuchen und ihm zeigen, wie die Unternehmen dort längst gutes Geld mit Energieeffizienztechnologie verdienen und Arbeitsplätze schaffen. Die Wirtschaft hat sich längst auf den Klimaschutz vorbereitet. Die warten darauf, dass die Politik entscheidet. Die wollen kein Zickzack, sondern Investitionssicherheit.
Lindner zeigt sich Ihren Angeboten gegenüber bisher hartleibig, und Horst Seehofer ist einem offenen Aufstand von der Jungen Union ausgesetzt. Haben Sie Zweifel, ob der Bayern-MP überhaupt noch ein volles Verhandlungsmandat für Jamaika hat?
Horst Seehofer verhandelt in der Sache hart, aber lösungsorientiert. Er macht keinen Klamauk, und ich erlebe ihn als verlässliches Gegenüber. Er ist unser Gesprächspartner für die CSU.
Teilen Sie Jürgen Trittins Analyse vom Wochenende, dass nicht die FDP das Hauptproblem in den Gesprächen ist, sondern dass die Merkel-CDU eine Totalblockade macht?
Alle werden sich bewegen müssen. Auch die Kanzlerin. Ich erlebe, dass sie bisher zuhört, moderiert und viele Fragen stellt. Aber jetzt kommt die Woche der Wahrheit. Wir Grünen haben übers Wochenende klare Prioritäten für uns benannt, damit wir mit den Gesprächen vorankommen können. Ich bin gespannt, ob Seehofer, Merkel und Lindner das auch geschafft haben.
Wie geschlossen sind die Grünen denn aus dem Prozess herausgekommen?
Sehr geschlossen, da muss ich meine Partei loben. Jetzt kommt es auf zwei Sachen an. Erstens: Definieren, was die wirklich wichtigen Kernbereiche für einen sind. Zweitens: Zugestehen, wo die anderen wichtige Sachen für sich brauchen und wo man ihnen entgegenkommen kann. Darauf sind wir vorbereitet. Ich hoffe, dass die anderen das ebenso gemacht haben. Sonst, wird’s nichts.
Ist das zwischen Ihnen und Trittin, der regelmäßig harte Attacken reitet, eigentlich Arbeitsteilung nach dem Muster: Guter Grüner – Böser Grüner?
Gut sind wir hoffentlich alle, vor allem sind wir gut vorbereitet. Jürgen Trittin hat eine enorme Sachkenntnis und nützt uns sehr mit seiner Erfahrung. Genauso übrigens wie Winfried Kretschmann.
Bei der Union und der FDP sagen sie, es sei nicht klar, ob Cem Özdemir bei den Grünen den Hut aufhabe, er müsse sich in Telefonkonferenzen rückversichern?
Ich pflege ganz offensichtlich einen anderen Führungsstil als die FDP, wo außer Christian Lindner niemand Prokura hat. Das irritiert die FDP wahrscheinlich. So können sie aber doch so große Themengebiete nicht klug verhandeln. Wir stimmen uns ab und sind gut vorbereitet. Wir können entscheiden und sind handlungsfähig.