Ministerpräsident Winfried Kretschmann sorgt sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Umso wichtiger ist ihm die Einigkeit in der Koalition. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand findet den Umgang mit der CDU zu kuschelig.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfrid Kretschmann sorgt sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Umso wichtiger ist ihm die Einigkeit in der Koalition. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand fordert: mehr Luft!

 

Dass die Grünen nach der Landtagswahl eine Koalition mit der CDU eingingen, ergab sich aus dem Wahlergebnis und war nicht Ausdruck strategischer Überlegungen, auch wenn ein solches Bündnis mit Blick auf die kommende Bundestagswahl für beide Seiten von Anfang einen – wenn auch herben – Reiz entfaltete. Grün-Schwarz erstand im März 2016 aus der Niederlage von Grün-Rot. Dennoch bemühte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann um einen gedanklichen Überbau für die neue Machtkonstellation – um etwas theoretischen Putz gewissermaßen, weshalb er bei jeder Gelegenheit bedeutungsvoll raunte: „In der Krise gehe ich auf Konsens.“ Nach Kretschmanns Lesart ist Grün-Schwarz die Antwort auf die Herausforderung des Rechtspopulismus. Die Koalition repräsentiert das bürgerliche Spektrum in seiner ganzen Breite – eine feste Burg inmitten einer aufgepeitschten Welt.

Kretschmann und Strobl schauen sich tief in die Augen

Seit dem Start von Grün-Schwarz propagiert der Ministerpräsident den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den er als Aufgabe Sozialminister Manne Lucha (Grüne) und dessen „Gesellschaftsressort“ zuwies. Unter Leitung der Grünen-Landtagsfraktion wurde eine Projektgruppe „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ eingerichtet, die sich inzwischen mehrfach traf in dem noch vagen Bemühen, das große Wort mit Inhalt zu füllen. Das ist nicht einfach. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Verteilungsgerechtigkeit zu suchen, entspricht nicht Kretschmanns Naturell. Das Ehrenamt zu loben und zu preisen, gehörte schon zu CDU-Zeiten zur Regierungsrhetorik. Und so fördern Kretschmann und sein CDU-Gegenüber Thomas Strobl den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor allem dadurch, dass sie ihn ihrer Partnerschaft gewissermaßen repräsentativ vorleben, sich tief in die Augen schauen und gegenseitig beteuern, wie lieb sie sich haben. Nur kein Streit, lautet Kretschmanns Ansage. Das bringt nur den Rechtspopulisten Gewinn.

Aber ist das tatsächlich so? Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand hegt Zweifel. Womöglich verhält es sich ja umgekehrt. Vielleicht nutzt den Rechtspopulisten gerade die Einmütigkeit der anderen Parteien, von denen sie ohnehin immer behaupten, diese steckten unter einer Decke. Zwar mühen sich SPD und FDP im Landtag, ihre Oppositionsrolle auszufüllen, doch wer nimmt das wahr? Mehr noch: Quer durch die Republik existieren Koalitionen in allen möglichen Farbkombinationen. Nur die AfD ist nicht dabei, weshalb sie sich als die einzig wahre Alternative anpreist – zum Verdruss Hildenbrands: „Schon der Name AfD stört mich ganz massiv.“ Dieser suggeriere, die anderen Parteien seien alle gleich. „Aber das stimmt nicht.“

Hildenbrand: Mut zum Konflikt

In einem Positionspapier für die Projektgruppe „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ verlangt der Grünen-Landeschef daher von den Regierungs-Grünen im Südwesten mehr Mut zum begrenzten Konflikt. „Die Unterscheidbarkeit politischer Positionen braucht einen gewissen Grad an inhaltlicher Polarisierung“, schreibt er. Die Politik habe nicht nur ihre Kompromissfähigkeit, sondern auch ihre Konfliktfähigkeit zu beweisen. „Demokratie lebt vom Ringen um politische Alternativen und deshalb auch vom zivilisierten Streit.“ Die Grünen wollten nicht die CDU sein, was umgekehrt genauso gelte.

Hinter Hildenbrands Mahnung steckt auch die Beobachtung, dass die Grünen derzeit inhaltlich nicht durchdringen, während die durch die Terrorangst befeuerten Sicherheitsdebatte die CDU nährt, die bei diesem Thema robuster zu Werke geht, als dies den Grünen möglich ist. Deren traditionelle Rolle liegt in der Verteidigung einer liberalen Rechtsordnung. Doch auch damit tun sich die Regierungs-Grünen schwer in einer Zeit, in welcher der Ruf nach Sicherheit das Bekenntnis zur Freiheit übertönt. Etwas widerständiger, findet Hildenbrand, dürfen die Grünen schon sein. Es gehe darum, Sicherheit und Freiheit in Balance zu bringen. „Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, den Koalitionspartner zu Besonnenheit und Augenmaß anzuhalten.“ Die Leitfrage für alle Vorschläge sei, ob sie tatsächlich mehr Sicherheit brächten oder zu einer „überzogenen Einschränkung von Bürgerrechten und der persönlichen Freiheit“ bedeuteten.

Respekt versus Grobheit

Schon im innerparteilichen Streit um die Vermögensteuer rund um den jüngsten Bundesparteitag warnte Hildenbrand davor, den bei den Grünen so beliebten Begriff der Chancengerechtigkeit gegen die Verteilungsgerechtigkeit auszuspielen. „Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander“, schreibt er nun in seinem Positionspapier. „Diese soziale Kluft gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Die Politik müsse den Mut haben, „die ungerechten und Ungleichheit verschärfenden Wirtschaftsstrukturen“ infrage zu stellen.

Hildenbrand wendet sich auch gegen die „Brutalisierung der öffentlichen Debatte“, die von den Rechtspopulisten mittels „kalkulierter Ausrutscher“ und „inszenierter Tabubrüche in Gang gesetzt worden sei. Im Gespräch sagt er: „Wer anderen mit Respekt und Empathie begegnet soll sich dafür nicht rechtfertigen müssen, und wer anderen mit Respektlosigkeit und Grobheit begegnet, soll sich dessen nicht auch noch rühmen können.“ Deshalb fand er auch die Attacken Kretschmanns gegen eine Sprache der Political Correctness nicht zielführend. „Schluss mit dem Moralisieren“, hatte der Regierungschef im vergangenen Herbst gefordert. Hildenbrand sagt: „Wo das Korrekte zum Falschen und das Falsche zum Korrekten umgedeutet wird, muss man klar widersprechen.“