„Eine Konfliktkoalition in diesem Land, in dem die CDU noch immer sehr stark ist, wird nicht funktionieren“, sagte Ministerpräsident Kretschmann.

Aalen - Die Rührseligkeit übermannt ihn. Winfried Kretschmann bekommt kaum noch einen Ton heraus. Erstmals tritt der 63-Jährige als Regierungschef vor einen Grünen-Landesparteitag. Ein „epochaler Erfolg“ sei das, sagt er wenig später in der Aalener Stadthalle, als er seine Stimme wieder findet.

 

Vielleicht hat Kretschmann auch kurz daran gedacht, dass die Grünen ihm nicht immer so zugejubelt haben. So durfte der Oberrealo die Grünen nicht als Spitzenkandidat in die Landtagswahl am 27. März führen. Der damalige Fraktionschef war stinksauer, dass er sich in ein Wahlteam einfügen musste. Doch das war gestern. Heute geht es für Kretschmann und seine Grünen nur um eines: „Oben bleiben.“

Der Schlachtruf der Stuttgart-21-Gegner gegen eine Tieferlegung des Hauptbahnhofs ist im Prinzip auch das Motto des ersten Parteitags der Grünen nach dem Machtwechsel in Baden-Württemberg, das fast 60 Jahre von der CDU dominiert wurde. Es geht der Ökopartei darum, zu zeigen, dass der Wahlerfolg kein Zufall war.

SPD-Justizminister Stickelbergerübt Kritik an der eigenen Partei

„Wir wollen fünf Jahre gut regieren“, ruft Kretschmann den über 200 Delegierten zu. Er sieht sich bei seinem Hauptziel, die Wirtschaft zu begrünen, schon auf dem Vormarsch. Kretschmann weiß, dass der Dauerstreit mit der SPD über das Bahnprojekt eine schwere Belastung für die Koalition ist. Aber davon will er sich nicht verdrießen lassen: „No risk, no fun!“

Aber dann nimmt er doch den Ball auf, den Justizminister Rainer Stickelberger von der SPD ihm zugespielt hat. Der Stuttgart-21-Gegner hatte in seinem Grußwort erklärt, er habe in der Regierung bessere Erfahrungen mit den Grünen gemacht als mit den eigenen Leuten. Ihn stören die „schrillen Töne in der Begleitmusik“.

Ob er damit SPD-Chef Nils Schmid meint? „Nein, wir haben einen guten Dirigenten. Aber die SPD ist ein großes Orchester, wo das eine oder andere Instrument nicht richtig eingestimmt ist.“ Stickelbergers Kritik ist unzweifelhaft auf den wortgewaltigen SPD-Fraktionschef und S21-Befürworter Claus Schmiedel gemünzt.

Kretschmann kleidet seine Sorgen in Ironie. Mit der neuen CDU-Opposition im Landtag sei ja noch kein Staat zu machen. „Umso dankbarer müssen wir dem Kollegen Schmiedel sein, dass er immer wieder in diese Rolle schlüpft.“ Unter dem Gelächter der Delegierten setzt er nach: „Solange es nur Knallkörper und keine Granaten sind, die er in die Koalition schmeißt, nehmen wir das mit einigem Humor hin.“

Schmiedel reagiert prompt

Dabei wissen die meisten im Saal, dass der SPD-Mann den Regierungschef schon mehr als einmal ernsthaft provoziert hat. Etwa als er drauf und dran war, mit der CDU ein Bündnis pro Stuttgart 21 zu schmieden. Da fuhr ihm der Regierungschef in die Parade.

Schmiedel reagiert prompt auf die neue Kritik. „Herr Kretschmann bringt da etwas durcheinander. Die Opposition in Sachen Stuttgart 21 sind die Grünen - und nur die“, poltert er aus der Ferne. Am meisten bringt ihn Kretschmanns Appell für mehr Disziplin auf die Palme. „Der Ruf nach Koalitionstreue wirkt ziemlich unglaubwürdig, wenn man sich gleichzeitig mit der Linken gegen den Koalitionspartner verbündet.“ Damit meint Schmiedel die Allianz gegen Stuttgart 21.

Der SPD-Mann findet es schade, dass Kretschmann nicht stärker auf die Volksabstimmung abhebt, mit der Grün-Rot den Konflikt um Stuttgart 21 lösen will. Tatsächlich ist Staatsministerin Silke Krebs beim Parteitag nach der Kretschmann-Rede bemüht, diese Gemeinsamkeit herauszustellen.

Und Bundestags-Fraktionsvize Fritz Kuhn sieht sich sogar genötigt, eine Lanze für die Sozialdemokraten zu brechen. „Ich halte es für falsch, uns an der SPD abzuarbeiten.“ Es müsse im Land doch darum gehen, die langjährige Vorherrschaft der CDU dauerhaft zu brechen.