Viel zu viele Menschen im Rems-Murr-Kreis können nicht ausreichend Lesen und Schreiben. Die Volkshochschule Unteres Remstal will das Problem nun mit speziellen Kursen angehen.

Waiblingen - Das Thema brenne den Mitarbeitern der Volkshochschule Unteres Remstal schon lange unter den Nägeln, sagt deren Leiterin Stefanie Köhler. Und so setzt die Bildungseinrichtung im aktuellen Semester einen Schwerpunkt auf das Thema Grundbildung, denn viel zu vielen Menschen fehlen wichtige Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben oder Rechnen. Wie viele Bürger des Rems-Murr-Kreises zur Gruppe der funktionalen Analphabeten (siehe „Probleme mit Buchstaben“) gehören, lässt sich nur schätzen.

 

Allein in Waiblingen könne man aber davon ausgehen, dass knapp 5000 Einwohner der Stadt betroffen seien, sagt Stefanie Köhler. Unter dem Strich geht man bei der Volkshochschule Unteres Remstal davon aus, dass allein in den fünf Trägerkommunen Waiblingen, Fellbach, Kernen, Korb und Weinstadt knapp 14 000 Bürger funktionale Analphabeten sind. „60 Prozent derjenigen, für die Grundbildung ein Thema wäre, sind deutsche Muttersprachler“, stellt Stefanie Köhler klar.

Das Problem ist, die Betroffenen zu erreichen

Es gibt also auf jeden Fall Bedarf, die große Schwierigkeit indes ist, die Betroffenen in die Kurse zu lotsen, denn funktionaler Analphabetismus ist ein Tabuthema. Stefanie Köhler und ihre Mitarbeiter hoffen, dass die Angebote dennoch Zuspruch finden. Etwa die Lese- und Schreibwerkstatt in Waiblingen, die Mitte März beginnt, bei der man aber jederzeit einsteigen darf. An zwei Abenden in der Woche können Erwachsene hier in einem geschützten Umfeld das Lesen und Schreiben üben – und zwar in dem Tempo, das für sie passt.

Wer seine Rechtschreibung verbessern möchte, kann das im Kurs „Texte schreiben ohne Fehler“ tun oder sich für „Mehr Sicherheit in Rechtschreibung und Zeichensetzung“ entscheiden. Unterstützung bei Behördenschreiben, Anträgen und anderem Papierkram bekommen Hilfesuchende außerhalb der Ferien am ersten Mittwoch eines Monats von 17 bis 18.30 Uhr im VHS-Foyer am Alten Postplatz in Waiblingen. Das Angebot ist kostenlos und vertraulich.

Auch für jene, die mit funktionalen Analphabeten in Kontakt kommen, gibt es Hilfen. „Nur Mut! – funktionale Analphabeten als Kunden erkennen, ansprechen und vermitteln“ lautet der Titel einer gebührenfreien Fortbildung, bei der es am 14. März Tipps dazu gibt, wie man Betroffene erkennt und auf sensible Weise anspricht. Grundlagen und Regeln der Leichten Sprache vermittelt ein zweiteiliger Kurs anhand von praktischen Beispielen.

Mehr als Schreiben und Lesen

Weil zur Grundbildung noch andere Kenntnisse als Schreiben und Lesen gehören, bietet das VHS-Programm beispielsweise auch eine Rechenwerkstatt und einen Schnupperabend zur englischen Sprache an, einen Kurs für „erste Schritte am Computer“, ein „ABC des Kochens“ oder einen Workshop dazu, wie man seine Finanzen in den Griff bekommt. Auch einen Besuch im Landtag gibt es und Einstiegsangebote für gesunde Ernährung, Pilates und Hatha-Yoga.

Um das Tabuthema aus dem stillen Kämmerlein herauszuholen, lädt die Volkshochschule am Freitag, 17. Februar, zu einer Auftaktveranstaltung ins VHS-Foyer am Waiblinger Alten Postplatz. Von 13 Uhr an macht dort das Alfa-Mobil des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung Station. Bei dieser Gelegenheit wird auch ein ehemaliger funktionaler Analphabet seine Geschichte erzählen und – das hofft zumindest die Volkshochschulleiterin Stefanie Köhler – Betroffene dazu ermutigen, einen der Kurse zu besuchen.

Probleme mit Buchstaben

Analphabetismus
Primärer Analphabetismus liegt vor, wenn ein Mensch in seinem Leben nie Lesen und Schreiben gelernt hat. Als sekundärer Analphabetismus gilt, wenn ein Kind in der Schule diese Kenntnisse erlernt, sie aber später mangels Übung wieder verloren hat. Sogenannte funktionale Analphabeten beherrschen die Schriftsprache nicht in dem Maße, wie es für das Leben in ihrer jeweiligen Gesellschaft notwendig wäre. Alphabetisierung
Obwohl die Zahl der funktionalen Analphabeten im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland auf rund 7,5 Millionen geschätzt wird, besuchen nicht einmal ein Prozent dieser Menschen einen Alphabetisierungskurs. Für die Mehrheit der Betroffenen ist Deutsch die Muttersprache.

Studie
Gemäß einer Studie der Universität Hamburg können 4,4 Prozent der deutschen Bevölkerung maximal Wörter, aber keine Sätze lesen. Zehn Prozent verstehen zwar kurze Sätze, scheitern aber an Texten. Knapp 26 Prozent haben größere Probleme mit dem Lesen und Schreiben – sie können beispielsweise einen Wortschatz auf Grundschulniveau nur mit vielen Fehlern schreiben.