Günther Jauch nimmt am Sonntag den Königsplatz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein. Man erwartet sehr viel von der Marke Jauch.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Berlin - Am S-Bahn-Knoten Schöneberg ragt ein eisernes Gestell in den Berliner Himmel: der Gasometer. Das Industriedenkmal diente früher als Gasspeicher; es ist das Wahrzeichen der "Roten Insel", eines Quartiers, das für seinen Widerstand gegen die Nazis bekannt ist. Nebenan ein paar Autowerkstattbaracken, verwahrloste Grünflächen. Typisch Berlin: schmuddelig, aber mit Geschichte.

 

Im Innern wölbt sich eine Kuppel über das Fernsehstudio, das hier für die ARD-Sendung "Günther Jauch" installiert wurde. Die rostigen Innenwände des Gasometers schimmern durch die transparente Kuppelhaut, Variationen von Rost- und Rottönen bestimmen auch die Studioausstattung: zwei Plattformen mit Ledersesseln, Wandboards im Retrolook. "Nichts Geschlecktes" habe der Ort, beschreibt Günther Jauch treffend, nichts Vornehmes - "ich finde ihn schön".

Ich bin's doch, der Jauch!

Der Moderator hat mit der Ortswahl seinen ersten Akzent gesetzt, und von Akzenten können die Medienvertreter an diesem Vormittag nicht genug bekommen. Sie sind hungrig auf Details zum Sendungskonzept, auf vielsagende Statements. Am Sonntag wird Jauch den Königsplatz im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen einnehmen, um 21.45 Uhr nach dem "Tatort", mit einer "politischen Gesprächssendung", keiner Talkshow, wie der Programmdirektor Volker Herres und der NDR-Intendant Lutz Marmor, die Jauch auf drei roten Ledersesseln in ihre Mitte genommen haben, unisono betonen, ohne den Unterschied zu erklären. Sie erwarten sich viel von der Marke Jauch. Die stehe für Erfolg und Qualität, sagt Herres. Und: "Das wollen wir auch."

Aber Jauch stillt den Hunger der Journalisten nicht. Viel ist nicht aus ihm herauszubekommen: Keine Experimente will er wagen, um die vier Millionen Zuschauer, die er von Anne Will erbt, nicht zu verprellen. Eine Evolution, keine Revolution kündigt er an. Er wolle sich nicht festlegen, bei der Zusammenstellung der Gäste keinen Mustern folgen. Die Zuschauer sollen "klüger" sein hinterher; 60-Sekunden-Einspieler sollen Begriffe erklären, immerhin so viel gibt er preis. Wenn nichts dazwischen kommt, wird "9/11" sein erstes Thema sein.

Jauch sitzt in weißem Hemd und grauen Anzug zwischen Herres und Marmor, und er wirkt dabei stellenweise etwas hilflos, immer dann, wenn er seine Mundwinkel abfallen lässt, was seine hängenden Wangen noch mehr betont. Wenn er sich bei seiner RTL-Quizshow über einen Kandidaten wundert, guckt er auch so. Als wolle er sagen: Was wollt ihr denn? Ich bin's doch, der Jauch! Irgendwann bricht es aus ihm heraus: "Jeder weiß doch, was ich im Fernsehen mache und wie ich das mache. Jetzt gibt es ein anderes Format, aber deshalb ändere ich mich nicht."

Er hat damit nolens volens das Geheimnis seines beispiellosen Fernseherfolgs benannt: Die Sendung, egal, welche er moderiert, das ist - er. Und er ist gut. Sehr gut.

Schlagfertig, schnell, uneitel

Er ist der Jauch, der beliebteste deutsche TV-Moderator, den jeder zweite Bundesbürger gern zum Bundespräsidenten hätte. Der seit seinen Anfängen Mitte der Siebziger beim Bayerischen Rundfunk, als er mit Thomas Gottschalk die "B3-Radioshow" moderierte, über seine Stationen bei ZDF und RTL alles immer nur richtig gemacht hat. Mit seinem Dauerbrenner "Wer wird Millionär?", in dem er seit zwölf Jahren Multiple-Choice-Fragen stellt, hat er das Wort Telefonjoker dudentauglich gemacht. Bei "Stern TV" hat er zwanzig Jahre lang Schicksale ergründet, Prominente interviewt, Kinder einfühlsam befragt.

Jahresrückblicke, Sportstudio, Lottoshows, Vierschanzentourneen, Fußball-Weltmeisterschaften - es gibt wenig im TV-Unterhaltungsgewerbe, was der heute grau melierte 55-Jährige an sich vorbeiziehen ließ. Nach seiner Ausbildung an der Münchner Journalistenschule, für die der 1956 in Münster geborene Sohn des Journalisten Ernst-Alfred Jauch sein Studium schmiss, hatte er beim BR in der Sportredaktion angefangen. Später sollte ihm eine Sternstunde des Fernsehens gelingen, als er 1998 mit Marcel Reif bei einem Champions-League-Spiel die Panne eines umgefallenen Tores in Madrid 76 Minuten lang überbrückte. Ihre Scherze erzielten eine weit höhere Quote als das Spiel selbst.

Schlagfertig, schnell, uneitel - das sind seine Trümpfe. Wenn er vor der Kamera steht, wirkt er klug, gelassen, und immer ist er unterhaltsam. Jauch habe, wie der große Henri Nannen, die Ernsthaftigkeit, die Neugier und den Mitteilungsdrang eines spielenden Kindes, hat ein renommierter Journalist über ihn geschrieben. Der Autoliebhaber, der den teuren Wagen nur zu besonderen Anlässen aus der Garage holt und ansonsten Opel fährt, ist ein feiner Beobachter, ein Anekdotenerzähler, ein Menschenkenner und -möger, einer, der zu allem was zu sagen hat, und sei es zum Sortiment des Baumarkts seiner Wahl. Einer, der sich nicht verstellt, sich nicht erhebt - und trotzdem über allem zu schweben scheint. Dafür liebt ihn das Publikum.

Für Geld hat er sich schon früh interessiert

Auch an diesem Vormittag im Berliner Gasometer funktioniert es. Man nimmt ihm ab, was er sagt. Jauch ist durch und durch glaubwürdig, er spielt nie eine Rolle. Damit scheint er im Fernsehen total fehl am Platz zu sein - und gerade deshalb überflügelt er Kollegen wie Jörg Pilawa oder Kai Pflaume um Längen. Die derzeitige Aufregung über die Talkshow-Schwemme kühlt der schlaksige Brillenträger mit ein paar treffenden Sätzen herunter. "Das Genre ist nicht so unerfolgreich, wie gerade überall geschrieben wird."

Jauch, der reflektierte Plauderer. Und Jauch, der Unternehmer: seine Produktionsfirma I & U TV, die nun auch "Günther Jauch" produziert, steht hinter vielen bekannten Shows bei ARD, ZDF, RTL oder Sat1. Der Auftragswert für die neue ARD-Sendung: 10,5 Millionen Euro jährlich. Für Geld hat er sich schon als Jugendlicher ziemlich interessiert, ursprünglich wollte er mal Banker werden.

Viel Geld hat er beim Fernsehen gemacht, auch als omnipräsente Werbefigur. Die Werbeerlöse steckt er in soziale Projekte, mit seinem Vermögen saniert er Häuser und setzt sich für den Denkmalschutz ein. Sein Privatleben schützt er und strengt dafür, wenn es sein muss, auch Prozesse an. Er lebt in Potsdam mit seiner Frau Thea Sihler und seinen vier Töchtern, von denen zwei adoptiert sind. Obligatorischen Religionsunterricht findet er gut; er predigt das humanistische Bildungsideal, schätzt preußische Tugenden wie Disziplin und Fleiß.

"Lasst die Sendung erst mal laufen"

Dazu kommt der Ehrgeiz. Den kann er nicht abschütteln. Die Hände in den Schoß legen und seinen Ruf zu genießen ist nicht sein Ding, auch wenn er inzwischen ein Weingut im Saarland besitzt. Das eigentlich Reizvolle sei es, sich anzustrengen und sich immer wieder mit anderen zu messen, hat er mal gesagt.

Und so ist Jauch im Stillen wohl schon davon überzeugt, dass er es besser machen kann als die Kollegen, jetzt, wie auch schon vor fünf Jahren, als aus dem Wechsel zur ARD nichts geworden ist; dass er aus dem ausgelutschten Format noch etwas rausholen; dass er etwas bewegen kann. Indem er seine Gäste im richtigen Moment am Schwafeln hindert, indem er nicht alle der Reihe nach drankommen lässt, indem er, Achtung: Jauch-Jargon, den Ball, wenn er vor dem Tor liegt, auch reinmacht.

Man wird sehen. "Was ich gemacht habe, ist nichts Bleibendes", hat er in einem seiner spärlichen Interviews sinniert. Vielleicht will er das noch schaffen: etwas hinterlassen. Zugeben würde er das jetzt noch nicht. Deshalb stapelt er hier in Berlin, im hoch in den Himmel aufragenden Gasometer, erst mal tief und redet davon, was er noch alles lernen muss, etwa, wie man mit dem Timing umgeht, und dass Fernsehen doch nie planbar sei. Dass "Wer wird Millionär?" so erfolgreich würde, wer hätte ihm das damals, als er anfing, schon geglaubt. "Lasst die Sendung erst mal laufen", bittet er zum Schluss. Der Mann hat wahrscheinlich wie immer recht.